- von Gernot Heller und William James
Berlin/London (Reuters) - Deutschland und andere EU-Staaten haben britischen Forderungen nach einer Neuverhandlung des Brexit-Vertragsentwurfs eine Absage erteilt.
"Ich glaube, wir sollten an dem festhalten, was wir jetzt haben", sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am Montag im ZDF. Ähnlich äußerten sich Vertreter Luxemburgs, Belgiens, der Niederlande und Tschechiens. Auch die britische Premierministerin Theresa May, die wegen des nach zähen Verhandlungen erzielten Kompromisses stark unter Druck steht und sich womöglich am Dienstag einem Misstrauensvotum stellen muss, verteidigte die Vereinbarung. "Wir peilen ein Abkommen an, das für Großbritannien funktioniert, und zweifeln Sie nicht daran: Ich bin entschlossen zu liefern", sagte sie. Wirtschaftsminister Greg Clark schloss unterdessen eine Verlängerung der Übergangsperiode nach dem Brexit bis 2022 nicht aus.
"Dieser Brexit bedeutet für alle Beteiligten schwierigste Probleme, er bedeutet auch wirtschaftliche Nachteile", sagte Altmaier. Es werde nicht einfacher, wenn man versuche, jetzt noch einmal neu zu verhandeln. "Deshalb sollten wir auch alles tun, damit der Gipfel der Staats- und Regierungschefs ein Erfolg wird", erklärte er mit Blick auf das Treffen am Sonntag, bei dem die EU-Staaten über den Kompromiss abstimmen wollen. "Jedes Abkommen ist besser als gar kein Abkommen", sagte auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn am Rande eines Treffens mit seinen EU-Kollegen in Brüssel. "Ich denke, es ist im Interesse Großbritanniens und der EU, dass diese Vereinbarung zustande kommt." Der EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier verteidigte den Kompromiss als gerecht und ausgewogen.
Auch der größte britische Wirtschaftsverband CBI warnte vor einem Scheitern des Abkommens. "Während andere Länder an ihrer künftigen Wettbewerbsfähigkeit arbeiten, scheint unser Nervenzentrum hier, Westminister, in seiner eigenen kleinen Welt zu leben", kritisierte Generaldirektorin Carolyn Fairbairn beim Jahrestreffen des Verbandes. "Man (DE:MANG) spielt offenbar ein riskantes Spiel mit hohem Einsatz, das versehentlich in einem ungeregelten Brexit enden könnte. Sicher, ganz sicher können wir das besser hinkriegen." CBI-Präsident John Allen bezeichnete den Brexit als "Abrissbirne" für die britische Wirtschaft.
GEGNER MAYS SPRICHT VON TAG DER ABRECHNUNG
May erhielt bei dem CBI-Treffen lauten Applaus für ihre Rede. "Die Welt mag sich rasant ändern, aber unsere Geografie wird dies nicht tun: Europa wird immer unser nächster Absatzmarkt sein, und es ist daher entscheidend, dass wir einen freien Warenverkehr über die Grenzen haben", mahnte sie. Jegliche Übergangsfrist nach dem Brexit müsse vor der nächsten Parlamentswahl in Großbritannien enden. Die Wahl ist für 2022 geplant. Wirtschaftsminister Clark hatte zuvor eine Ausdehnung der Übergangsperiode ins Gespräch gebracht. Es liege im Ermessen seines Landes, eine Verlängerung der Frist bis 2022 zu beantragen, sagte er der BBC. Nach bisheriger Planung soll sich an den Austritt Großbritanniens aus der EU am 29. März 2019 eine Übergangsperiode bis Ende Dezember 2020 anschließen.
In der Konservativen Partei riss die Kritik an May nicht ab. Der Tag der Abrechnung für May sei gekommen, sagte ihr parteiinterner Gegner Simon Clarke der BBC. Das Land stehe vor einer historischen Entscheidung. "Wenn wir mit diesem Plan weitermachen, werden wir schlicht keine Regierung mehr haben, denn er stellt eine so große Bedrohung für die Einheit des Landes dar, dass unsere Kollegen der (nordirischen) DUP das einfach nicht hinnehmen werden." Clarke zählt zu den Abgeordneten, die ein Misstrauensvotum gegen May beantragt haben. Einem Bericht der "Sun" zufolge fehlen Mays Gegnern noch sechs Stimmen für ein Misstrauensvotum. 42 Abgeordnete der Konservativen Partei hätten sich bereits hinter die Forderung nach einer solchen Abstimmung gestellt.
Die britische Nordirland-Ministerin Karen Bradley warnte indes davor, das Abkommen scheitern zu lassen. Dies könne einen ungeregelten, möglicherweise chaotischen Brexit nach sich ziehen, sagte sie. "Wenn das Parlament diese Vereinbarung zurückweist, gibt es keinen Plan B. Es würde bedeuten, dass wir ohne Abkommen austreten."