von Robert Zach
Investing.com - Der Aktienmarkt könnte seine gesamten Jahresverluste im zweiten Halbjahr aufholen. Zu dieser Einschätzung kommen die Experten von JPMorgan (NYSE:JPM). Als Begründung für ihre steile These verweisen sie auf eine nachlassende Inflation und das Ausbleiben einer Rezession.
Marko Kolanovic, der als einer der optimistischsten Analysten der Wall Street stets eine Erholung der Aktienmärkte prophezeit, meinte kürzlich, er und sein Team rechnen mit einer steilen Erholung des S&P 500 bis zum Jahresende auf 4.800 Punkte. Ausgehend vom aktuellen Indexstand würde dies einer Erholungsrallye von 27,9 Prozent entsprechen. Damit läge der S&P 500 nur einige Zähler über seinem am 3. Januar aufgestellten Allzeithoch von 4.796,56 Punkten.
"Die geopolitischen Spannungen in Europa stellen zwar ein erhebliches Risiko für den Konjunkturzyklus dar, doch halten wir eine diplomatische Lösung in der zweiten Jahreshälfte 2022 für durchaus realistisch. Das wiederum hätte positive Folgen für die Preisentwicklung. Außerdem geht JPM Economics davon aus, dass sich die Inflation im weiteren Jahresverlauf deutlich abschwächen wird, was die Wahrscheinlichkeit einer Rezession und eines Rückgangs der US-Unternehmensgewinne verringert. Vor diesem Hintergrund und in Verbindung mit der rekordverdächtig niedrigen Positionierung der Anleger halten wir das Chance-Risiko-Verhältnis für die zweite Jahreshälfte für zunehmend attraktiv", schrieb Kolanovic.
Optimistisch bleiben die Experten vor allem für den Energiesektor, der in letzter Zeit etwas geschwächelt hat, nachdem er den größten Teil des Jahres eine dramatische Outperformance gezeigt hatte.
"Alles, was nicht auf eine Rezession hinausläuft, dürfte die meisten Anleger auf dem falschen Fuß erwischen, vor allem nach der umfassenden Korrektur, die bei Aktien zu einem durchschnittlichen Abschlag von 80 Prozent auf frühere Rezessionstiefs führte", argumentierte Kolanovic.
Angesichts der hartnäckig hohen Inflation, der schnellen Anhebung der Leitzinsen durch die Fed und der Anzeichen für eine nachlassende Nachfrage in Bereichen wie dem Hausbau haben die Ängste der Börsianer vor einer Rezession in den letzten Wochen zugenommen.
Allerdings sieht Kolanovic die PCE-Kerninflation - das bevorzugte Inflationsmaß der Fed - in der zweiten Jahreshälfte auf eine Jahresrate von 2,9 % fallen. Diese Entwicklung könnte es der Zentralbank ermöglichen, ihr aggressives Tempo der geldpolitischen Straffung zu mäßigen.
Und tatsächlich geht der Kernpreisindex für die persönlichen Konsumausgaben (PCE Core) weiter zurück. Im Mai fiel die Jahresrate von 4,9 auf 4,7 Prozent. Es war der dritte Rückgang in Folge, aber auch eine Folge der Herausnahme des letztjährigen Preisanstiegs aus den Berechnungen.
In ihrem Szenario unterstellen die Experten von JPMorgan sogar, dass es der Fed gelingt, eine weiche Landung der US-Wirtschaft zu ermöglichen, und das, obwohl Fed-Chef Powell unlängst sagte, ein solches Szenario werde immer schwieriger zu realisieren.
Zum Schluss mahnte Kolanovic dann aber auch zur Vorsicht: Die Risiken für das Wachstum lägen nach wie vor auf der Unterseite und für die Inflation auf der Oberseite. Auf längere Sicht sei eine Rezession durchaus möglich, so der Aktien-Bulle. In seinen Modellen taxiert JPMorgan die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den nächsten zwei Jahren auf 63 Prozent.