- von Thorsten Severin
Berlin/München/Magdeburg (Reuters) - Der unter Beschuss geratene Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen kämpft um seinen Job.
Der 55-Jährige übermittelte am Montag einen schriftlichen Bericht mit seinen Einschätzungen zu den Ereignissen in Chemnitz an Innenminister Horst Seehofer und das Kanzleramt. Dieser werde zurzeit ausgewertet und bewertet, sagte Ministeriumssprecherin Eleonore Petermann. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: "Danach wird zu entscheiden sein, wie man damit umgeht." SPD-Chefin Andrea Nahles forderte, Maaßen müsse seine Beweggründe darlegen, warum er Bundeskanzlerin Angela Merkel öffentlich widersprochen habe. "Sollte er dazu nicht in der Lage sein, ist er in seinem Amt nicht länger tragbar."
Der Verfassungsschutz-Chef hatte gesagt, ihm lägen keine belastbaren Hinweise zu Hetzjagden bei den Ausschreitungen vor zwei Wochen vor. Merkel hatte aber von Hetzjagden gesprochen. Zudem hatte Maaßen die Echtheit eines Videos bezweifelt, das zeigen soll, wie Ausländer über eine Straße gejagt werden. Seehofer hatte von ihm bis Montag eine Begründung verlangt, worauf er seine Thesen stützt.
Der Innenminister ließ offen, wann die Auswertung abgeschlossen sein wird. Er werde am Montag erst deutlich nach Mitternacht nach Berlin zurückkehren und den Bericht nicht um halb zwei Uhr nachts lesen. "Solche Dinge muss man sorgfältig machen. Da muss man sich Zeit nehmen", sagte er in München. Petermann hielt sich bedeckt, ob der Bericht auch öffentlich gemacht werden soll. Bisherige Linie sei es, ihn zunächst den zuständigen Bundestagsgremien vorzustellen. Das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium und der Innenausschuss wollen Maaßen am Mittwoch befragen.
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, wer wie Maaßen solche Thesen vertrete, sei auch verpflichtet, die Beweise zu liefern. Ob er dann noch zu halten sei, müsse im Ministerium entschieden werden. Grünen-Chef Robert Habeck forderte in der "Rheinischen Post" die Entlassung Maaßens. Dieser sei nicht mehr haltbar und müsse gehen, um weiteren Schaden von den Institutionen abzuwenden. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sagte dem "Tagesspiegel", mit seiner Relativierung der Geschehnisse habe sich Maaßen zum "Teil des politischen Lagers aus AfD und Neofaschisten" gemacht.
Auf die Frage, ob Maaßen das Vertrauen von Kanzlerin Angela Merkel genieße, verwies Seibert auf Äußerungen von Freitag. Da hatte er auf eine entsprechende Frage geantwortet: "Herr Maaßen hat eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe." Welche Einschätzungen nach Lektüre des Berichts vorgenommen würden, könne er nicht vorwegnehmen, sagte Seibert. Seehofer hatte am Sonntagabend in der ARD auf Nachfrage gesagt, Maaßen habe sein "uneingeschränktes Vertrauen".
Maaßen steht auch wegen Treffen mit AfD-Politikern und seiner Aufklärungsarbeit im Zusammenhang mit dem Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri in der Kritik. Das "Handelsblatt" berichtete zudem, in einigen Landesämtern für Verfassungsschutz bestehe der Verdacht, dass über "undichte Stellen" Informationen und Einschätzungen des Bundesamts zur AfD ihren Weg in die Öffentlichkeit und direkt in die Hände der AfD gefunden hätten.
BESTÜRZUNG ÜBER VORFÄLLE IN KÖTHEN
Für Bestürzung sorgten in Berlin Vorfälle in Köthen in Sachsen-Anhalt. Dort beteiligten nach dem Tod eines Deutschen im Zusammenhang mit einem Streit mit Asylbewerbern rund 400 bis 500 Mitglieder der rechten Szene am Sonntagabend an einem Trauermarsch, wie Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht sagte. Insgesamt seien 2500 Menschen mitgelaufen. Landes-Justizministerin Anne-Marie Keding bestätigte, der 22 Jahre alte Deutsche sei sehr wahrscheinlich an einem Herzinfarkt gestorben. Tödliche Verletzungen seien nicht festgestellt worden. Es stehe fest, dass es am Samstag zu Auseinandersetzungen zwischen den zwei Afghanen und mindestens zwei Deutschen - darunter der gestorbene 22-Jährige - gekommen sei. Gegen die zwei Afghanen wurde Untersuchungshaft erlassen. Es besteht der Verdacht der Körperverletzung mit Todesfolge.
Seehofer warnte vor voreiligen Schlüssen zu dem Fall. "Da sind wir auf keinem Auge blind", gleich ob es um Rechtsradikalismus, Antisemitismus, aber auch um Gewaltverbrechen von Zuwanderern gehe.
Die Bundesregierung reagierte bestürzt auf die rechtsradikalen Vorkommnisse in der Stadt. "Dass es am Ende des Tages in Köthen zu offenen nationalsozialistischen Sprechchören gekommen ist, auch das muss uns betroffen machen und empören", sagte Seibert. Laut Innenministerium wurden 270 Bundespolizisten sehr schnell nach Köthen beordert.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sagte, man habe an den Nummernschildern der Anreisenden erkennen können, dass es zu Köthen eine bundesweite Mobilisierung gegeben habe. Daher handele es sich nicht um die Problematik einer einzelnen Stadt oder eines einzelnen Landes. Die gesamte Nation sei jetzt gefordert.