Von Robert Zach
Investing.com - Die Rohölbestände in den USA sind zwar letzte Woche erneut gestiegen, aber es mehren sich die Hinweise, dass der Stress am US-Ölmarkt nachlässt. Grund zur Euphorie besteht deshalb aber nicht. Es dürfte noch ein langer, steiniger Weg werden, bis sich die vollen Lager leeren und sich der Ölpreis als Reaktion darauf nachhaltig erholen kann.
Die Energie Information Administration (EIA) teilte am Mittwoch mit, dass die US-Rohöllagerbestände in der Woche bis zum 1. Mai um nur 4,6 Millionen Barrel gestiegen seien. Das war deutlich weniger als der Lageraufbau von 8,4 Millionen Barrel, den das American Petroleum Institute (API) gestern geschätzt hatte. Analysten hatten im Schnitt mit einem Anstieg der Ölreserven von 7,8 Millionen Barrel gerechnet. Es war der geringste Aufbau der Rohölbestände seit März. Sie liegen damit gut 12 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.
Auch am wichtigen Umschlagplatz für US-Rohöl der Sorte WTI in Cushing verlangsamte sich der Lageraufbau die zweite Woche hintereinander. Die Lager füllten sich um nur 2,1 Millionen Barrel. Nichtsdestotrotz laufen die Tanks weiter voll. Mittlerweile ist die Lagerkapazität zu gut 86,5 Prozent ausgeschöpft.
Der wohl positivste Aspekt an dem EIA-Bericht war der wiederholte Rückgang der Benzinbestände. Die implizite Benzinnachfrage erholt sich nun deutlich. Tatsächlich zog die Nachfrage in der vergangenen Woche um 800.000 Barrel an, als einige Staaten ihre Lockdown-Maßnahmen zurückschraubten. Die Bestände an Destillaten hingegen sind in die Höhe geschossen, was höchstwahrscheinlich auf die desolate Situation der Luftfahrtindustrie zurückzuführen ist.
Reuters berichtete heute Morgen, dass die US-Fluggesellschaften angesichts der Coronakrise mehr als zehn Milliarden Dollar pro Monat verlieren. Das geht aus vorbereiteten Zeugenaussagen des US-Branchenverbands der Fluggesellschaften vor einer Anhörung des US-Senats am Mittwoch hervor.
Die Rohölproduktion ging in der vergangenen Woche um weitere 200.000 Barrel pro Tag zurück. Sie liegt nun bei 11,9 Millionen Barrel pro Tag. Und - trotz der Entscheidung der Texas Railroad Commission, keine Produktionsdrosselung festzulegen - dürfte sich der Abwärtstrend fortsetzen, schließlich haben mehr und mehr Ölförderer mit den niedrigen Ölpreisen zu kämpfen. Das belastet die Rentabilität und sorgt dafür, dass Förderanlagen geschlossen, Investitionen ausgesetzt oder im schlimmsten Fall, Ölgesellschaften gänzlich vom Markt verschwinden werden.
Fast 40 Prozent der Ölförderer teilten der Federal Reserve Bank of Kansas City mit, dass sie noch vor Jahresende zahlungsunfähig sein würden, wenn der Preis für WTI im Schnitt bei 30 Dollar pro Barrel läge. Das meiste Öl in den USA kann nicht für weniger als 35 Dollar pro Barrel wirtschaftlich gefördert werden. Das Datenunternehmen Rystad schätzt sogar, dass die US-Ölgesellschaften einen Durchschnittspreis von 40 bis 45 Dollar brauchen, um nicht in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten.
US-Öl-Multis wie Exxon Mobil (NYSE:XOM), Chevron (NYSE:CVX) und ConocoPhillips (NYSE:COP) kündigten jüngst drastische Förderkürzungen an. Aber auch kleine US-Schieferölgesellschaften wie Diamondback Energy (NASDAQ:FANG) und Centennial Resource Development (NASDAQ:CDEV) drehen den Öl-Hahn zu.
Hinzu kommt, dass mehr und mehr aktive Förderanlagen dicht machen. Laut Baker Hughes sank die Zahl der aktiven US-Bohrlöcher letzte Woche auf den tiefsten Stand seit Juni 2016.
In die strategische Erdölreserve (SPR) wurden die zweite Woche in Folge mehr als 1,7 Millionen Barrel Öl eingelagert.
Fazit:
Zum Teil lässt sich die dynamische Rallye der Ölpreise der vergangenen Tage mit dem aktuellen EIA-Bericht erklären. Nichtsdestoweniger sind die Rohöllagerbestände in den USA in den letzten 15 Wochen kontinuierlich angestiegen. Mit einer maximalen Lagerkapazität von 76 Millionen Barrel und einer derzeitigen Auslastung von 86,5 Prozent, können noch 10,3 Millionen Barrel in Cushing eingelagert werden. Bei einer angenommenen Lagerfüllrate von durchschnittlich 2 Millionen Barrel, laufen die Lager gegen Mitte Juni voll, außer die Wiedereröffnung der US-Wirtschaft gewinnt deutlich an Fahrt und die Millionen Barrel an gelagertem Öl auf dem Ozean verschwinden auf wundersame Weise. Insofern sind weitere Turbulenzen in den kommenden Wochen nicht auszuschließen, insbesondere vor dem Rollover in den WTI-Juli-Kontrakt Mitte Mai.
Das an der ICE gehandelte Barrel der Sorte Brent Öl zur Juli-Lieferung (CBN20) verliert im späten Handel um 4,39 Prozent auf 29,62 Dollar. Für das an der Warenterminbörse NYMEX in New York gehandelte Rohöl der Sorte West Texas Intermediate (WTI-Öl) mit einer Laufzeit bis Juni (CLM20) geht es um 2,93 Prozent nach unten auf 23,84 Dollar.
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