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Im Zwiespalt zwischen Auftrag und Macht – Können Anleger den Rating-Agenturen überhaupt noch vertrauen?

Veröffentlicht am 20.08.2023, 09:54
Aktualisiert 02.09.2020, 08:05
  • Die Realität der Märkte hat die Welt der Bonitätsprüfer in diesem Jahr überrollt
  • Anfang des Jahres hat die SVB-Krise Zweifel an der Fähigkeit der Agenturen aufkommen lassen, eine Krise vorherzusagen
  • Die anschließenden Herabstufungen durch Moody's und Fitch in den USA lassen die Anleger nun ernsthaft an der Vertrauenswürdigkeit der Ratingagenturen zweifeln
  • Investing.com sprach mit Ann Rutledge, einer der weltweit führenden Expertinnen zu diesem Thema, um belastbare Informationen einzuholen
  • Kreditratings sind für den durchschnittlichen Kleinanleger kein alltägliches Anliegen. Tatsächlich war bis 2023 ein ganzes Jahrzehnt vergangen, ohne dass diese Branche einen nennenswerten Einfluss auf die täglichen Entscheidungen von Aktienhändlern und Anlegern hatte.

    Nun ganz plötzlich könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich die tektonischen Platten der Finanzwelt wieder unter den Füßen aller bewegen, und man sich fragen muss, ob das hier ein Weckruf für größere Veränderungen in der makroökonomischen Landschaft war.

    Das Jahr 2023 hat sich bereits als ungewöhnlich turbulente Zeit für die Welt der Kreditratings erwiesen. Anfang des Jahres, während der Bankenkrise, die durch das SVB-Debakel ausgelöst wurde, waren Marktbeobachter verblüfft über das eklatante Versäumnis der Ratingagenturen, Schwachstellen des Systems zu identifizieren. Das erinnerte an die globale Finanzkrise von 2008, in der die Fehleinschätzung von Risiken im Zusammenhang mit Mortgage Backed Securities eine entscheidende Rolle spielte und bei den Marktteilnehmern ein trügerisches Gefühl der Sicherheit hervorrief.

    Im August 2023 löste die Herabstufung des langfristigen Ratings für Emittenten von Schulden in Fremdwährungen der US-Regierung durch Moody's, dicht gefolgt von der gleichzeitigen Herabstufung von zehn US-Banken durch Fitch, bei den Anlegern eine drängende Frage aus: Sind Ratingagenturen noch verlässliche Quellen für die Risikobewertung?

    Um diese Frage zu beantworten, sprach Investing.com mit Ann Rutledge, einer der weltweit führenden Expertinnen auf diesem Gebiet. Laut der Gründerin und CEO von Creditspectrum Corp/R&R Consulting und Autorin von zwei Büchern zu diesem Thema ist die Antwort komplexer, als sie dem ungeübten Auge zunächst erscheint.

    • Investing.com: Anfang des Jahres, inmitten des Fiaskos der Silicon-Valley-Bank, haben wir uns gefragt, warum die Rating-Agenturen wieder einmal ihren Einsatz verpasst und die offensichtlichen Risse im US-Bankensystem nicht erkannt haben. Bedeutet die Herabstufung von zehn US-Banken durch Moody's in der vergangenen Woche, dass die Agenturen ihre Methoden verbessern?

    Ann Rutledge: Es gibt keine Anzeichen für Verbesserungen; die Methoden haben sich in letzter Zeit nicht geändert. Bei diesem Fiasko handelte es sich um einen gewöhnlichen Bank-Run, also eine Liquiditätskrise, nicht um eine Kreditkrise. Die FDIC rettete die Einleger, und das war dann die ganze Geschichte - ob es einem nun gefällt oder nicht. Anschließend fusioniert denn dann eine oder mehrere der gescheiterten Banken mit schwächeren Banken. Wir wissen das, weil die Bankenratings von Credit Spectrum (unserem Unternehmen) eine nuanciertere, kontinuierliche Sicht im Hinblick auf die Gesundheit der Banken bieten. Während Moody's sich zurückhielt, haben wir 2022 einige Banken herabgestuft.

    Eine den Tatsachen und Umständen entsprechende Erklärung ist, dass Moody's, der einzige Verfechter der langfristigen Aaa-Bonität der USA, irgendetwas unternehmen musste. Moody's ist sehr vorsichtig, wenn es darum geht, die USA zu kritisieren. Ein eleganter Weg, die Schwäche der Regierung anzuprangern, ist es, stattdessen die Banken herabzustufen. Beachten Sie, wie Moody's die Holdinggesellschaften von zweitrangigen, regionalen US-Banken überprüft oder negativ bewertet hat, die Holdinggesellschaften viel kleinerer Unternehmen jedoch herabgestuft hat, die für eine Rating-Agentur nicht die gleiche Marktmacht oder den gleichen wirtschaftlichen Wert haben.

    Nach der Anpassung des Ratings durch Fitch hat Janet Yellen die Herabstufung als "völlig ungerechtfertigt" angefochten, da die Wirtschaft robust sei. Sie bezeichnete die Bewertung als eine "fehlerhafte Bewertung", die auf veralteten Daten beruhe. Es wird vermutet, dass sich ihr Hinweis auf veraltete Daten auf die Verabschiedung des Gesetzes zur Schuldenobergrenze am 3. Juni bezieht.

    Allerdings ist es Yellens Wahrnehmung an sich, die möglicherweise einer Aktualisierung bedarf. Wer sich mit den Feinheiten der Kreditrating-Praktiken auskennt, weiß, dass sich die eigentlichen Aktionen hinsichtlich der Kreditwürdigkeit im Ausblick und der Beobachtungsliste widerspiegeln. Dieses mehrstufige Verfahren ist strategisch so konzipiert, dass sowohl der Markt als auch die Emittenten die Möglichkeit haben, zu reagieren. Jede spätere Änderung der Beurteilung ist im Vergleich dazu eine reine Verfahrensformalität.

    Am 23. Mai setzte Fitch das langfristige IDR-Rating der USA auf "Negative Watch" und begründete diesen Schritt mit mehreren Faktoren: der in letzter Minute eingeführten Schuldenobergrenze, den potenziell negativen wirtschaftlichen und finanziellen Folgen einer ausbleibenden Einigung und den fortbestehenden Governance-Hürden.

    Fitch kündigte daraufhin am 2. Juni an, die Beobachtungsliste im dritten Quartal 2023 "aufheben" zu wollen, d.h. eine endgültige Ratingentscheidung zu treffen. Das waren die eigentlichen Aktionen der Agentur - und nicht die Herabstufungen selbst.

    • IC.: Es ist weithin bekannt, dass Ratingagenturen bei der Identifizierung tatsächlicher Risiken der von ihnen untersuchten Wertpapieren zurückbleiben. Ist das ein Problem der Methodik der Agenturen oder liegt es in der "Natur" von Ratings?

    AR: Das Bankensystem hat die Aufgabe, Ersparnisse zu verwahren und zu nutzen, um Geld für die Wirtschaft zu produzieren. Eine Ratingagentur hat die Aufgabe, Qualitätsmaßstäbe festzulegen, die den Anlegern helfen, sich von Finanzspielereien fernzuhalten. Seit Rockefeller einen globalen Markt für Öl geschaffen hat, sind Ratings eine wertvolle, einzigartige Säule der Finanzinfrastruktur. Das ist schon lange her.

    Und nein - ich glaube nicht, dass irgendetwas an Ratings grundsätzlich falsch ist. Ich sehe allerdings eine akute Notwendigkeit, die Gestaltung der Ratings zu überdenken, um der modernen Finanzwirtschaft, den vielfältigen wirtschaftlichen Bedürfnissen von 8 Milliarden Menschen und der Umwelt, die wir schwächen, besser gerecht zu werden.

    Die Ratingagenturen wollen jedoch nicht, dass sich die Scores allzu häufig ändern. Der rechtliche Status eines Ratings ist eine Meinung, kein Score. Menschen ändern ihre Meinung tendenziell nicht so oft. Vielleicht könnte die Welt aufwachen und erkennen, dass es sich nicht um eine Meinung handelt, wenn sich das ändern würde. Und das könnte die Haftung ändern, da die Regulierungsbehörden verstehen würden, dass es sich nicht um eine Meinung handelt und sie damit ihren Anspruch auf ein in der Verfassung verankertes Recht verlieren.

    Wenn Sie die Methodik von Moody's (die seit 2021 nicht mehr verbessert wurde) lesen, werden Sie feststellen, dass es sich um ein Scoring-System handelt. Bedeutet das, dass darin keine Meinung enthalten ist? Nein. Aber das bedeutet nicht, dass es kein Modell ist.

    Mir ist klar, dass das sehr umständlich klingt und nur eine Frage der Formulierung ist, aber diese Frage, die die tatsächliche Bewertung der Haftung betrifft, ist viele Milliarden US-Dollar wert. Die Realität sieht so aus, dass die Ratingagenturen bereit sind, ihren Status zu schützen, auch wenn das bedeutet, dass sie ab und zu nicht mehr auf dem neuesten Stand sind.

    Wenn zum Beispiel die Darlehen, die die Anleihen unterlegen, zurückgezahlt werden, ändern sich die Risiken. Daher sollten solche Wertpapiere sukzessive über die Zeit aktualisiert werden.

    Investoren wird das nicht gefallen, aber so ist es nun einmal. Die Realität zeigt es: Sobald etwas handelbarer und volatiler wird, steigen auch die Risiken. Eine perfekte Welt der Ratings würde also eine größere Volatilität der Ratings mit sich bringen.

    Auf lange Sicht ist es viel besser, Probleme zu lösen, als mit dem Finger auf jemanden zu zeigen.

    Vielleicht ist die bessere Analogie zu 2023 das Jahr 1997 (die Asienkrise). Das Problem war ein Bankenproblem, nicht ein Problem der außerbilanziellen Finanzierung. Die Ratingagenturen verwechselten die Gesundheit der Bank mit der Gesundheit der Regierung, die die Bank unterstützt. Wir müssen uns auch über eins im Klaren sein: Einige Ratingagenturen sind zu klein, um von Bedeutung zu sein - wir sprechen hier von den von der US-Regierung zugelassenen Global Playern, die auf dem Markt das Sagen haben: die staatlich anerkannten Ratingagenturen (NRSROs).

    • IC.: Glauben Sie, dass die Strategie von Fitch, gleich zehn Banken auf einmal herabzustufen, dafür sorgen sollte, einen Ansturm auf einzelne Banken zu verhindern?

    AR: Ich sage Ihnen, wie ich das sehe. Ich glaube, dass die Strategie darauf ausgelegt war, die Banken nach ihrer Bedeutung aufzuteilen. Diejenigen, die für Moody's von geringem kommerziellem Interesse sind, wurden herabgestuft, während zwei anderen Gruppen aufgrund der Stärke ihrer Marke ein wenig Spielraum eingeräumt wurde.

    • IC.: Ist die schleppende Aktualisierung der Kreditratings ein Problem für die Weltwirtschaft? Und wenn ja, lässt sich dieses Problem irgendwie lösen?

    Mein Kollege Daniel Cash spricht oft darüber, wie die großen OECD-Länder und der IWF private Kredite an einen Tisch bringen wollten, um einen wirklich globalen Schuldkapitalmarkt zu schaffen. Das war und ist eine ständige Herausforderung, denn die Verfechter des Neoliberalismus verstehen den Handlungsrahmen nicht, den sie der Welt auferlegt haben, und wissen nicht, ob ihre Konzepte funktionieren oder nicht. Hier handelt es sich um einen Fall, in dem die Aktualisierung der Ratings von entscheidender Bedeutung ist. Erfahrene Anleger diskontieren risikobehaftete Cashflows mit ihrem Zeitwert. Das ist eine Frage der Definition.

    Das Hauptproblem ist, dass Sie Daten verwenden müssen, damit Aktualisierungen überhaupt möglich sind. Um Daten zu nutzen, benötigen Sie ein Modell, das in Ihr manuelles System integriert ist oder dieses ersetzt. Damit ein Modell in Ihr manuelles System integriert werden oder es ersetzen kann, muss es (a) den tatsächlichen Verlauf der Risikoentwicklung und des Risikoabbaus abbilden, und (b) darf es Ihnen nicht erlauben, bestimmte Kunden unsichtbar zu bevorzugen.

    Sie können die Ratings so oft aktualisieren, wie Sie neue Daten erhalten. Wir verfügen über ein patentiertes Verfahren für strukturierte Produkte, aber wir tun dies auch mit US-Banken, weil die aufsichtsrechtlichen Offenlegungspflichten so umfangreich sind - die Daten werden auch veröffentlicht. Aber man muss wissen, was man tut. UND das Ziel muss sein, einheitliche, verlässliche Bewertungen zu generieren. Da die Vorschriften jedoch so sind, wie sie sind, und der Wettbewerb um die Macht zwischen den verschiedenen Silos so ist, muss die Allgemeinheit Veränderungen fordern, damit sich etwas tut.

    Alle Verbindlichkeiten enthalten Optionalitäten - das Recht auf vorzeitige Rückzahlung oder die Möglichkeit eines Zahlungsausfalls. Ratings müssen auf reale Bedingungen reagieren, und NRSROs müssen den kommerziellen Verlockungen aus dem Weg gehen.

    • IC: Anfang dieses Jahres setzte Fitch die Credit Suisse (SIX:CSGN) und ihre Tochtergesellschaften erst dann auf die Rating Watch-Liste, als die Bank praktisch schon insolvent war. Warum hat es so lange gedauert, bis sich Fitch mit der Situation befasst hat?

    AR: Ich kann nicht für Fitch sprechen, aber ich habe einige grundsätzliche Ideen zu diesem Thema. War es nicht mit Lehman genauso? Lehman war wahrscheinlich schon jahrelang zahlungsunfähig, daher eines meiner berühmtesten Zitate von damals: "Es war kein Fehler, Lehman untergehen zu lassen; es war ein Fehler, sie so lange bestehen zu lassen".

    Die Ratingagenturen treffen umstrittene Rating-Entscheidungen im Rahmen ihrer Watch-Listen, damit man ihnen nicht vorwirft, dass sie Panik schüren. Im Idealfall können sie einen geordneten Übergang von Herabstufungen auf C usw. prognostizieren. Das sollte man zumindest meinen, wenn man ihre Studien zum Thema Anleiheausfälle betrachtet. In Wirklichkeit ist eine Herabstufung jedoch ein manueller, ineffizienter Prozess, bei dem viele Faktoren berücksichtigt werden. Das ist einer der Gründe, warum der Ratingprozess überarbeitet werden muss.

    • IC: Das Länderrating der Schweiz wird von allen drei großen Ratingagenturen als perfekt eingestuft (auch nach dem Zusammenbruch eines der ältesten und größten Finanzinstitute des Landes). Inwiefern hat dieser Teil der Gleichung dazu beigetragen, den Anlegern ein falsches Gefühl der Sicherheit in Bezug auf die tatsächliche Lage der Bank zu vermitteln?

    AR: Eine ausgezeichnete Beobachtung. Wie könnte das nicht ein wichtiger Faktor sein? Ich bin zwar nicht direkt in diesen Prozess involviert, aber während der Asienkrise war ich bei Moody's in Ratingausschüssen für Staats- und Finanzinstitute vertreten. Mir ist klar, dass die Ratingagenturen dazu neigen, die Ratings von Staaten und Banken zu vermischen - sie sind nicht unabhängig - und dass es eine theoretische Herausforderung ist, das richtige Rating zu finden, wenn man mit dem falschen Konzept arbeitet. Und dann ist da vielleicht noch die Angst, Macht und Einfluss oder einen marginalen Marktanteil zu verlieren, wenn man den Ratingprozess weniger hochtrabend, dafür aber informativer gestaltet. Im Jahr 2023 erleben wir in Echtzeit, welche Auswirkungen diese Angst hat.

    ***

    Offenlegung: Ann Rutledge ist die CEO von Creditspectrum Corp/R&R Consulting und unterhält derzeit keine Geschäftsbeziehungen zu Moody's oder Fitch.

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