Giftanschlag - Russland treibt Westen wieder zusammen

Reuters

Veröffentlicht am 16.03.2018 10:30

Aktualisiert 16.03.2018 10:40

Giftanschlag - Russland treibt Westen wieder zusammen

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim hat Bundeskanzlerin Angela Merkel immer wieder den Tabubruch Russlands hervorgehoben: Erstmals seit 1945 seien wieder Grenzen in Europa durch eine Eroberung verschoben worden, kritisierte sie.

Der Hinweis auf diesen Tabubruch diente in der Folgezeit auch als Erklärung, wieso Merkel im Ukraine-Russland-Konflikt Wirtschaftssanktionen gegen Russland zustimmte, obwohl dies auch deutschen Unternehmen schadet. Eben deshalb ist die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der USA, Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens zum Nervengiftanschlag im britischen Salisbury so wichtig. Denn wieder wird auf einen Tabubruch verwiesen: "Der Einsatz eines militärischen Nervenkampfstoffs eines Typs, wie er von Russland entwickelt wurde, stellt die erste offensive Anwendung eines solchen Nervengifts in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg dar", heißt es.

Das eröffnet ebenso wie der deutliche Hinweis auf die russische Verantwortung Wege für weiter Schritte - auch wenn eine Verurteilung bewusst noch vermieden wird - und verschiebt die Debatte nicht nur zwischen Russland und dem Westen, sondern auch innerhalb des westlichen Lagers. "Ich bin sehr froh, dass die westlichen Vier endlich eine gemeinsame Stellungnahme gefunden habe. Das ist sowohl nach innen als auch an Russland eine starke Botschaft," freut sich Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour. Auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich begrüßt das "klare Signal". "Das zeigt allen Unkenrufen zum Trotz das enge funktionierende Band des Westens. Russland zielt auf Destabilisierung, wird aber eine geschlossene Antwort erhalten", sagt der CDU/CSU-Fraktionsvize Johann Wadephul zu Reuters.

Tatsächlich überdeckt die Eskalation mit Russland plötzlich wieder die Risse, die sich zwischen den westlichen Demokratien aufgetan hatten: Immerhin bringt US-Präsident Donald Trump die Welt mit der Verhängung von Schutzzöllen auf Stahl und Aluminium an den Rand eines Handelskrieges und verärgert nicht nur Partner weltweit, sondern eben auch die Europäer. Die britische Regierung ringt seit der Brexit-Entscheidung mit der EU. "Jetzt zeigt der Konflikt mit Russland, dass es eine gemeinsame Bedrohung gibt", meint Nouripour. Tatsächlich warnen westliche Geheimdienste seit Jahren, dass die russische Führung gezielt an einer Destabilisierung liberaler westlichen Demokratien arbeitet.

GESCHLOSSENHEIT GEGENÜBER RUSSLAND

Das erklärt auch die harte Wortwahl und der Hinweis, dass der Anschlag die Sicherheit aller bedrohe. Es gebe "keine plausible alternative Erklärung", als dass Russland hinter dem Anschlag stecke, schreiben die vier Staats- und Regierungschefs zudem - was nur noch wenig von einer endgültigen Verurteilung entfernt ist. Der wachsende Frust der EU-3 und der US-Regierung über Moskau findet sich auch am Ende des Textes, wenn dort auf das "verantwortungslose" russische Verhalten hingewiesen wird. Dahinter steckt der Vorwurf, dass Russland den Krieg in der Ostukraine und vor allem in Syrien mit militärischer Gewalt vorantreibt - ohne dass der Westen bisher ein Rezept dagegen gefunden hat.

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Der nächste Schritt wäre nach Meinung Nouripours nun, dass der EU-Gipfel kommende Woche sich der Position der vier großen westlichen Staaten anschließt. "Denn die Allianz (DE:ALVG) der vier reicht nicht - und die EU muss bei möglichen weiteren Schritten zusammengehalten werden". Schon die Verlängerung der im Ukraine-Konflikt verhängten Sanktionen sorgt aber immer wieder für Debatten in der EU, in der kleine Staaten wie Griechenland, Zypern oder Ungarn anfällig für russischen Avancen sind.

ABER WELCHE MITTEL HAT DER WESTEN?

Die Crux ist nach Ansicht von EU-Diplomaten, dass es sich um einen asymmetrischen Konflikt handelt - bei dem Russland bereit ist, in einem Maße militärische Mittel einzusetzen wie dies bei den westlichen Ländern nicht der Fall ist. Und eine direkte militärische Konfrontation mit der zweigrößten Atommacht der Welt will ohnehin niemand riskieren. Das mache eine konsequente Politik schwierig, wird eingeräumt. Die britische Premierministerin Theresa May etwa hat Russland ein Ultimatum gesetzt und nach der ausbleibenden Antwort Moskaus 23 russische Diplomaten ausweisen lassen. Das demonstriert zwar innenpolitische Entschlossenheit, die May glaubt zeigen zu müssen. "Aber man kann natürlich nicht alle Diplomaten abschieben", relativiert auch Grünen-Experte Nouripour die Möglichkeiten dieses Weges.