"Brexit"-Referendum bereitet EZB-Chef Draghi Kopfzerbrechen

Reuters

Veröffentlicht am 02.06.2016 17:14

"Brexit"-Referendum bereitet EZB-Chef Draghi Kopfzerbrechen

- von Frank Siebelt und Francesco Canepa

Wien/Frankfurt (Reuters) - Das anstehende Referendum über einen Austritt Großbritanniens aus der EU bereitet der Europäische Zentralbank Sorgen.

EZB-Chef Mario Draghi zählte am Donnerstag nach der Zinssitzung in Wien die näher rückende Abstimmung auf der Insel zu den Hauptrisiken für die Konjunkturerholung im Euro-Raum. "Die EZB ist für jeden Ausgang vorbereitet", sagte der Italiener. Großbritannien und Europa würden sich wechselseitig begünstigen. Das Land müsse deswegen in der Europäischen Union bleiben. An ihrer ultra-lockeren Geldpolitik hielt die Notenbank fest. Sie beließ den Leitzins auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent.

Die Briten stimmen am 23. Juni ab. Nach jüngsten Umfragen ist der Ausgang völlig offen. Das Szenario eines EU-Austritts sorgt schon jetzt bei vielen Politikern für Kopfschmerzen. Die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten Industrieländer sahen unlängst in einem "Brexit" eine ernsthafte Gefahr für die Weltwirtschaft. Experten rechnen für diesen Fall mit starken Verwerfungen an den Finanzmärkten. Die EZB hat als Bankenaufseherin in der Euro-Zone Notfallpläne von den Geldhäusern angefordert. Sie will so sichergehen, dass die Institute für alle möglichen Ergebnisse gewappnet sind.

BALD AUCH KAUF VON FIRMENANLEIHEN

Insgesamt schätzt die EZB die Wachstumsaussichten für die Euro-Zone etwas positiver ein als noch vor einigen Monaten. Zwar würden auch weiterhin die Gefahren überwiegen. "Allerdings hat sich die Risikobilanz angesichts der bereits eingeleiteten geldpolitischen Maßnahmen und der noch ausstehenden Impulse inzwischen verbessert", sagte Draghi. Die hauseigenen Experten der Notenbank rechnen mittlerweile mit einem Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone von 1,6 Prozent. Bisher waren sie von 1,4 Prozent ausgegangen. Die Inflation dürfte aber trotz des zuletzt wieder gestiegenen Ölpreises niedrig bleiben. So wird in diesem Jahr nur mit einer Teuerungsrate von 0,2 (bisher 0,1) Prozent gerechnet.

Die Inflation dürfte "in den nächsten Monaten weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau oder im negativen Bereich liegen", sagte Draghi. Erst in der zweiten Jahreshälfte werde sie wieder anziehen. Des Ziel einer Teuerungsrate von knapp zwei Prozent - der Idealwert für die Wirtschaft aus Sicht der EZB - bleibt damit in weiter Ferne. Im Mai waren die Preise für Waren und Dienstleistungen in der Euro-Zone sogar um 0,1 Prozent gesunken. Das gilt als gefährlich. Konsumenten halten sich bei fallenden Preisen zurück, Unternehmen verdienen weniger und schieben Investitionen auf.

GELDSCHLEUSEN BLEIBEN WEIT OFFEN