Grüne Flügel ganz zahm - Harmonie-Show in Leipzig

Reuters

Veröffentlicht am 12.11.2018 09:21

Aktualisiert 12.11.2018 09:31

Grüne Flügel ganz zahm - Harmonie-Show in Leipzig

- von Hans-Edzard Busemann

Leipzig (Reuters) - Seit der Bundestagswahl 2017 haben die Grünen Flügelkämpfe weitgehend vermieden.

Auch beim Leipziger Parteitag am Wochenende zeigten sich die rund 800 Delegierten überwiegend zahm. Mit Ska Keller und Sven Giegold wurden zwei Parteilinke zu Spitzenkandidaten für die Europawahl mit überwältigenden Mehrheiten gewählt. Früher wäre der Protest der Realos sicher gewesen, denn jahrelang galt der Grundsatz, dass Doppelspitzen mit je einem Vertreter beider Parteiflügel besetzt werden. Umgekehrt begehrte die Linke nicht auf, als vergangenen Januar die Realos Annalena Baerbock und Robert Habeck zu den Parteivorsitzenden gewählt wurden. Auch bei den Beschlüssen zum EU-Wahlprogramm blieb Streit so gut wie aus.

Horcht man in die Partei hinein, wird als einer der Gründe für die Harmonie aufgeführt, keiner der Flügel wolle den Höhenflug der Grünen gefährden. Führende Grüne erklären, ein Wendepunkt seien die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen mit Union und FDP nach der Bundestagswahl gewesen. Denn damals hätten die Grünen staatspolitische Verantwortung bewiesen, indem beide Flügel ohne Wenn und Aber bereit gewesen wären, mit der Union auf Bundesebene eine Koalition einzugehen. Seitdem sei es bergauf gegangen.

In Leipzig führten viele Mandatsträger einen weiteren Grund für die Eintracht an: Habeck und Baerbock würden auch Anliegen der Parteilinken in der Öffentlichkeit vertreten. So hat Baerbock wiederholt Kinderarmut und die prekären Verhältnisse vieler Alleinerziehender angeprangert.

In Leipzig konnte auch der Gastredner des Parteitags als Konzession an die Parteilinke verstanden werden. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann lobte die Grünen als "Lichtblick in diesen Zeiten". Beim Parteitag 2016 war der Gastredner Daimler-Chef Dieter Zetsche. Der damalige Parteichef und Realo Cem Özdemir hatte den Manager eingeladen und wurde dafür heftig angefeindet.

Viele Spitzengrüne berichteten, mit Habeck und Baerbock sei ein neuer Stil in die Parteizentrale eingezogen. Die neuen Chefs legten nicht nur demonstrativ ihre Büros zusammen, sondern stimmten sich auch ab. Ihre Vorgänger Özdemir und die Linke Simone Peter hätten dagegen intern häufig und öffentlich manchmal gegeneinander gearbeitet. Der Spitzenkandidat bei der hessischen Landtagswahl, Tarek al-Wazir, hatte diese Wandlung im Blick, als er am Freitagabend sagte: "Dank an den Bundesverband, wir haben das ja auch schon etwas anders erlebt."

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