Investing.com
Veröffentlicht am 12.10.2022 07:05
Aktualisiert 12.10.2022 07:42
von Robert Zach
Investing.com - Dem Internationalen Währungsfonds zufolge drängt eine Kombination aus Inflation, kriegsbedingten Energie- und Lebensmittelkrisen und drastisch gestiegenen Zinsen die Welt an den Rand einer Rezession und bedroht die Stabilität der Finanzmärkte.
Zum Auftakt der ersten persönlichen Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank seit drei Jahren forderte der IWF in seinen düsteren Lageberichten die Zentralbanken nachdrücklich auf, ihren Kampf gegen die globale Inflation fortzusetzen, ungeachtet der Schmerzen, die von der Straffung der Geldpolitik und dem Anstieg des US-Dollars auf den höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten ausgehen.
Ob aus den zahlreichen Krisen in der Welt - Inflation, Finanzmarktturbulenzen in Großbritannien, Angst vor einem Bankenbeben in der Schweiz, Krieg in der Ukraine - eine neue Finanzkrise erwächst, kann niemand mit Gewissheit sagen. Neil Shearing, Group Chief Economist bei Capital Economics, wagt eine Einordnung der Geschehnisse. Hier sein Kommentar im Wortlaut:
Die Zentralbanken haben die Instrumente, um Liquiditätskrisen zu bewältigen, die durch steigende Zinsen und fallende Vermögenspreise entstehen. Die größere Gefahr besteht vielmehr darin, dass höhere Zinsen zu einem starken und simultanen Rückgang der Vermögenspreise führen, der die Solvenz von Finanzinstituten bedroht. Im Vergleich zu 2007 dürften die meisten Banken heute besser gerüstet sein, um einen Rückgang der Vermögenspreise zu verkraften. Wenn Probleme auftauchen, dann wahrscheinlich im Schattenbankensektor oder in Volkswirtschaften, in denen die Leitzinsen besonders stark steigen.
Über die Turbulenzen auf dem Gilt-Markt - und deren Implikationen für die britische Geldpolitik - haben wir hier in einer separaten Notiz ausführlich berichtet. Die eindringliche Warnung der Bank of England, dass die Dysfunktionalität des Anleihemarktes nun ein "erhebliches Risiko" für die britische Wirtschaft darstellt, hat jedoch die grundlegendere Frage aufgeworfen, ob ein steiler Anstieg der Kreditkosten (und der damit einhergehende Rückgang der Vermögenspreise) Finanzkrisen in Teilen der Weltwirtschaft zur Folge haben könnte.
Nach einem einfachen Rahmen lässt sich zwischen Problemen unterscheiden, die durch einen Mangel an Liquidität und solchen, die durch einen Mangel an Zahlungsfähigkeit verursacht werden. Liquiditätskrisen treten auf, wenn Finanzinstitute auf der Passivseite ihrer Bilanzen unter Druck geraten (Prolongation von Krediten usw.) und sind - zumindest relativ gesehen - für die Zentralbanken leicht zu bewältigen. Auch wenn die Besonderheiten jeder Liquiditätskrise unterschiedlich sind, besteht die Lösung fast immer darin, dass die Zentralbank als Kreditgeber der letzten Instanz auftritt. Dazu stehen ihr mehrere Instrumente zur Verfügung, darunter Repo-Auktionen, die Kreditvergabe über Diskontfenster und der direkte Kauf von Vermögenswerten. Und obwohl Liquiditätskrisen zu Turbulenzen auf den Finanzmärkten führen können, sind deren Konsequenzen für die Realwirtschaft oft begrenzt, vorausgesetzt, die Entscheidungsträger reagieren zügig.
Im Gegensatz dazu stellen Solvenzkrisen eine viel ernstere Bedrohung für die Realwirtschaft dar. Sie treten auf, wenn der Wert der Vermögenswerte eines Instituts unter den Wert seiner Verbindlichkeiten fällt. Folglich entstehen finanzielle Verluste, die dann von einem Teil des Systems getragen werden müssen. Tritt dies in großem Umfang auf, kann dies das gesamte System der Finanzvermittler und der Kreditschöpfung beeinträchtigen, was wiederum zu einer starken Kontraktion der Realwirtschaft führen kann. Große und systemische Solvenzkrisen erfordern in der Regel, dass der Staat seine Bilanz nutzt, um die Verluste aufzufangen und Teile des Finanzsystems zu rekapitalisieren.
Bei der LDI-Krise im Vereinigten Königreich handelt es sich in erster Linie um eine Liquiditätskrise - eigentlich sollten höhere Anleiherenditen die Solvenz der britischen Pensionsfonds verbessern. Stattdessen lauert die eigentliche Gefahr in Solvenzkrisen (oder dem Risiko, dass Liquiditätskrisen in Solvenzkrisen umschlagen).
Dank der strengeren Regulierung und Überwachung im Gefolge der globalen Finanzkrise sind die Geschäftsbanken nun besser in der Lage, einen Rückgang der Vermögenspreise zu verkraften, und somit weniger anfällig für Solvenzkrisen. Die Kapitalpuffer haben sich verbessert und die Stresstests wurden verschärft. Gleichwohl treten finanzielle Risikoquellen gewöhnlich auf eine Art und Weise auf, die sich nur schwer im Voraus vollständig vorhersehen lässt.
Eine neue Risikoquelle ist der Schattenbankensektor, der per Definition undurchsichtig und nur schwer kontrollierbar ist. Der IWF hat bereits früher auf Risiken in Sektoren wie Private Equity, Gewerbeimmobilien und einige offene Investmentfonds hingewiesen. Die größten Risiken bestehen in Bereichen, in denen die Vermögenswerte illiquide und schwer zu bewerten sind.
Eine zweite Gefahrenquelle liegt in den derzeitigen ungewöhnlichen Umständen. Bevor der jüngste Straffungszyklus begann, lagen die Leitzinsen in den USA bei 0,00 bis 0,25 %, im Vereinigten Königreich bei 0,1 % und in der Eurozone bei -0,5 %. Diese Periode extrem niedriger Zinsen mag anfangs durch die Notwendigkeit gerechtfertigt gewesen sein, die Volkswirtschaften auf dem Höhepunkt der Pandemie zu stützen, aber eine Folge davon war, dass die Preise für Vermögenswerte überall in die Höhe getrieben wurden. Jetzt, wo die Kreditzinsen von einem extrem niedrigen Niveau aus stark ansteigen, besteht das Risiko, dass die Preise für Vermögenswerte zeitgleich massiv fallen.
Aus der Vergangenheit lassen sich nur wenige Parallelen ziehen, die uns (und den Regulierungsbehörden) Aufschluss darüber geben können, was als Nächstes kommen könnte. Die größten Risiken lauern jedoch in den Ländern, in denen die Leitzinsen besonders schnell steigen, allen voran im Vereinigten Königreich. (Der Wechselwirkung zwischen Fiskalpolitik und Finanzstabilität wurde bisher nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet, sie ist hier jedoch von entscheidender Bedeutung - in einem Umfeld hoher Inflation und steigender Zinsen haben die Regierungen viel weniger Spielraum für fiskalische Maßnahmen).
Ein besonderes Augenmerk sollten wir auch auf Länder richten, die einen enormen Preisanstieg bei Wohnimmobilien zu verzeichnen hatten, vor allem das Vereinigte Königreich, Kanada, Australien und Neuseeland. Und während große Kreditgeber in der Regel einer strengen Prüfung durch die Aufsichtsbehörden unterzogen werden, können kleinere Kreditgeber (und sogar Schattenbanken) manchmal unter dem Radar durchschlüpfen.
Eine dritte Risikoquelle schlummert in den Ereignissen auf den Devisenmärkten. Insbesondere die Stärke des Dollars könnte Unternehmen Probleme bereiten, die Kredite in Dollar aufgenommen haben und nicht über einen entsprechenden Strom von Dollar-Einnahmen oder Absicherungsmaßnahmen verfügen. Dies wiederum könnte zu Verlusten für Finanzinstitute führen, die diesen Unternehmen Kredite gewährt haben.
Ein letzter Punkt, den es zu betonen gilt, ist, dass die Geschichte zeigt, dass die durch Finanzkrisen geschaffenen makroökonomischen Folgeschäden völlig unterschiedlich sein können. Die Weltwirtschaftskrise und die globale Finanzkrise 2008/09 lösten tiefe Rezessionen aus, von denen sich die Volkswirtschaften erst nach Jahrzehnten erholen konnten. Im Gegensatz dazu hatte die Savings-and-Loans-Krise in den USA Mitte der 1980er Jahre nur relativ bescheidene Auswirkungen auf die US-Wirtschaft, während die gesamtwirtschaftlichen Folgen der sekundären Bankenkrise im Vereinigten Königreich im Jahr 1973 von der Ölkrise desselben Jahres in den Schatten gestellt wurden.
Ausschlaggebend ist vor allem, inwieweit die Probleme das Finanzsystem im Allgemeinen anstecken und die Kreditvergabe beeinträchtigen, was wiederum von der allgemeinen Gesundheit der Bilanzen von Banken, Haushalten und Nicht-Finanzinstituten abhängt. Während sich die Gewitterwolken über der Weltwirtschaft und dem Finanzsystem zusammenziehen, sollte man nicht vergessen, dass der Leverage im Finanzsektor und bei den privaten Haushalten in den größten Industrieländern heute viel geringer ist als 2007.
Geschrieben von: Investing.com
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