HINTERGRUND-Europa als Kollateralschaden der Berliner Hängepartie

Reuters

Veröffentlicht am 22.11.2017 11:51

HINTERGRUND-Europa als Kollateralschaden der Berliner Hängepartie

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Am Sonntag ließ die FDP die Regierungsbildung in Berlin platzen. Am Montag ging Deutschland bei der Sitzvergabe für die beiden aus Großbritannien abziehenden EU-Behörden leer aus.

Die zeitliche Nähe ist zwar reiner Zufall. Aber die Entscheidung, etwa die europäische Bankenaufsicht in Paris und nicht in Frankfurt anzusiedeln, wirkt dennoch wie ein Symbol für den derzeit schwierigen Stand Deutschlands in der EU. "Denn die Durchsetzungsfähigkeit Deutschlands und von Kanzlerin Merkel ist angekratzt", sagt etwa Nikolai von Ondarza, Europaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Europaweit und vor allem beim engsten Partner Frankreich mache man sich Sorgen über eine lange politische Hängepartie ausgerechnet im größten und wichtigen EU-Staat, meint auch Sébastian Maillard, Direktor des Instituts Jacques Delors. Auch wenn es durchaus Häme für die Krise beim vermeintlichen Musterschüler Deutschland gibt - die politische Krise kommt zur Unzeit. "Es gibt ein Fenster für anstehende Reformen in der EU und der Euro-Zone bis 2019 - und das schließt sich langsam", warnt etwa von Ondarza. Sollten im Frühjahr 2018 Neuwahlen nötig werden, verkürze dies die Zeit für Reformberatungen.

Um Partner und Finanzmärkte zu beruhigen betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in mehreren Interviews, dass Deutschland trotz der geplatzten Sondierung stabil und handlungsfähig sei. Ihre Regierung ist einschließlich der SPD-Minister so lange geschäftsführend im Amt, bis eine neue steht. Immer wieder wird auf die Niederlande verwiesen, wo es ohne große Verwerfungen sieben Monate dauerte, bis Ministerpräsident Mark Rutte eine neue Koalition zustande bekam. "Aber Deutschland ist nun einmal das wichtiges EU-Land und hat eine Tradition der Stabilität", mahnt Ulrike Franke, Europaexpertin des European Council on Foreign Relations (ECFR). Merkel galt viele Jahre lang weltweit als die entscheidende Führungsfigur des Kontinents.

AUSLAND BESORGT ÜBER STILLSTAND

Aber derzeit spielen die Auswirkungen der parteipolitischen Querelen auf Europa in den innenpolitisch dominierten Berliner Diskussionen nicht einmal eine Rolle. Bei europäischen Partnern ist das anders. Das ZDF zeigte am Montag eine Szene, in der Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit besorgter Miene mit Blick auf die Regierungsbildung in Deutschland sagte: "Es ist nicht in unserem Interesse, dass sich das verkrampft." Der Franzose gehört zu den Hauptleidtragenden der Entwicklung in Berlin. Anfang des Jahres hatte die Bundesregierung noch darauf gewartet, dass die Wahlen in Frankreich stabile Verhältnisse an der Seine bringen würden. Jetzt wartet Macron seit Wochen, dass er zusammen mit Deutschland die von ihm angeschobenen Reformen in der EU umsetzen kann. Vorletzte Woche hatte er seinen Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire mit mahnenden Botschaften nach Berlin geschickt.

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