ROUNDUP: Inflation steigt sprunghaft - 'Der finanzielle Spielraum schrumpft'

dpa-AFX

Veröffentlicht am 19.01.2022 12:04

Aktualisiert 19.01.2022 12:15

WIESBADEN (dpa-AFX) - Nach einem Sprung der Inflation auf den höchsten Stand seit fast 30 Jahren können die Menschen in Deutschland Experten zufolge zunächst nicht auf eine rasche Entspannung hoffen. Im Schnitt des vergangenen Jahres erhöhten sich die Verbraucherpreise um 3,1 Prozent. Das Statistische Bundesamt bestätigte am Mittwoch eine erste Schätzung. Ein stärkerer Anstieg der Jahresteuerung war zuletzt 1993 mit 4,5 Prozent gemessen worden. Im Corona-Krisenjahr 2020 waren es 0,5 Prozent. Viele Ökonomen rechnen angesichts von Lieferengpässen und vergleichsweise hohen Energiepreisen auch in diesem Jahr im Schnitt mit einer 3 vor dem Komma. 

Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro dann weniger kaufen können als zuvor. Auch an mickrig verzinsten Ersparnissen nagt eine höhere Teuerung. Jeder neunte Deutsche kann nach eigenen Angaben kaum noch seine Lebenshaltungskosten bezahlen, wie eine YouGov-Befragung im Auftrag der Postbank ergab. "Da sich Lebensmittel, Energie und Kraftstoffe erheblich verteuert haben, die Einkommen mit der Preisentwicklung aber nicht Schritt halten können, schrumpft der finanzielle Spielraum", erläuterte Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel. 

Im Dezember stiegen die Verbraucherpreise dem Bundesamt zufolge zum Vorjahresmonat um 5,3 Prozent. Die monatlich gemessene Inflationsrate erreichte damit den höchsten Stand des vergangenen Jahres. "Damit dürfte der Höhepunkt der deutschen Inflation nun überschritten sein", meinte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Gegenüber dem Vormonat legten die Preise um 0,5 Prozent zu. 

Angeheizt wurde die Teuerung in Europas größter Volkswirtschaft vor allem von rasant gestiegenen Energiepreisen im Zuge der weltweiten Konjunkturerholung nach der Corona-Krise 2020. Energieprodukte verteuerten sich gegenüber dem Vorjahr im Schnitt um 10,4 Prozent, nach einem Rückgang um 4,8 Prozent im Jahr 2020. Vor allem für Heizöl (41,8 Prozent) und Kraftstoffe (22,6 Prozent) mussten Verbraucher tiefer in die Tasche greifen.

Hinzu kamen die Rücknahme der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung, Lieferengpässe sowie die Einführung der CO2-Abgabe Anfang 2021 von 25 Euro je Tonne Kohlendioxid, das beim Verbrennen von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas entsteht. 

Auch wenn der Mehrwertsteuereffekt in diesem Jahr entfällt, erwarten viele Ökonomen zunächst keine rasche Entspannung. Sie verweisen unter anderem auf Lieferengpässe, die Herstellungskosten erhöhen. Auch zeigte die Preiskurve beim Erdöl zuletzt steil nach oben. 

"Die Inflation wird im Verlauf dieses Jahres nur langsam zurückgehen", sagte Ifo-Konjunkturexperte Timo Wollmershäuser. Die Unternehmen geben dem Wirtschaftsforschungsinstitut zufolge die gestiegenen Kosten für Energie sowie bei der Beschaffung von Vorprodukten und Handelswaren weiter. Selbst wenn sich der Anstieg der Energiepreise in den kommenden Monaten nicht fortsetzten sollte, sorge das noch eine Weile für hohe Inflationsraten. Anzeichen für eine gefährliche Spirale aus steigenden Preisen und steigenden Löhnen sieht Wollmershäuser bislang dagegen nicht. 

Jetzt die App holen
Werden Sie Teil der größten Finanz-Community der Welt
Downloaden

Der neue Bundesbank-Präsident Joachim Nagel sieht die gestiegenen Teuerungsraten mit Sorge. Er sehe "derzeit eher die Gefahr, dass die Inflationsrate länger erhöht bleiben könnte als gegenwärtig erwartet", sagte Nagel jüngst. "Bei aller Unsicherheit ist eines ganz klar: Wenn es die Preisstabilität erfordert, muss der EZB-Rat handeln und seinen geldpolitischen Kurs anpassen." Nagel ist Mitglied in dem obersten Entscheidungsgremium der Europäischen Zentralbank. 

Die Inflation ist ein wichtiger Gradmesser für die Geldpolitik der europäischen Währungshüter. Die Notenbank strebt eine jährliche Teuerungsrate von 2 Prozent an und ist zumindest zeitweise bereit, ein moderates Über- oder Unterschreiten zu akzeptieren. Kritiker werfen der EZB vor, mit ihrer ultralockeren Geldpolitik die Teuerung anzuheizen, die sie eigentlich im Zaum halten will. 

Eine Zinserhöhung ist im Euroraum anders als in den USA nicht in Sicht. EZB-Direktorin Isabel Schnabel warnte jüngst vor schnellen Erhöhungen. In den Prognosen sinke die Inflation mittelfristig sogar unter 2 Prozent, sagte die Volkswirtin jüngst der "Süddeutschen Zeitung". "Darum dürfen wir die Zinsen nicht zu früh erhöhen. Denn das könnte dazu führen, dass der Aufschwung abgewürgt wird." Die Währungshüter würden aber schnell und entschlossen reagieren, wenn sie zum Schluss kämen, dass sich die Inflation doch oberhalb der 2 Prozent festsetzen könnte. 

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer sieht die EZB nicht unter Zugzwang, ihre Nullzins-Politik zu beenden. "Mittelfristig geht man nicht davon aus, dass die Preise weiter steigen werden. Das hängt ganz stark von den Löhnen ab. Wie werden die Lohnsteigerungen sein? Und da sehen wir bisher eine ganz moderate Entwicklung", sagte Schnitzer im Bayerischen Rundfunk. 

Die steigende Inflation macht sich zudem immer stärker an den Kapitalmärkten bemerkbar. Am Mittwoch war der Rendite für zehnjährige Bundesanleihen erstmals seit knapp drei Jahren wieder leicht positiv. Sie stieg am Vormittag bis auf rund 0,02 Prozent. Es ist das erste Mal seit Mai 2019, dass zehnjährige Bundesanleihen wieder eine positive Rendite abwerfen. Die Wertpapiere gelten an den Märkten als richtungsweisend./mar/DP/mis

Der Handel mit Finanzinstrumenten und/oder Kryptowährungen birgt hohe Risiken. Sie können Ihren Kapitaleinsatz vollständig oder teilweise verlieren. Die Kurse von Kryptowährungen sind extrem volatil und können von externen Faktoren wie finanziellen, regulatorischen oder politischen Ereignissen beeinflusst werden. Der Handel auf Margin erhöht das finanzielle Risiko.
Stellen Sie unbedingt sicher, dass Sie die mit dem Handel der Finanzinstrumente und/oder Kryptowährungen verbundenen Risiken vollständig verstanden haben und lassen Sie sich gegebenenfalls von einer unabhängigen und sachkundigen Person oder Institution beraten, bevor Sie den Handel aufnehmen.
Fusion Media möchte Sie daran erinnern, dass die auf dieser Internetseite enthaltenen Kurse/Daten nicht unbedingt in Realtime oder genau sind. Alle Daten und Kurse werden nicht notwendigerweise von Börsen, sondern von Market-Makern bereitgestellt, so dass die Kurse möglicherweise nicht genau sind und vom tatsächlichen Marktpreis abweichen können, was bedeutet, dass die Kurse indikativ und nicht für Handelszwecke geeignet sind. Fusion Media und andere Datenanbieter übernehmen daher keine Verantwortung für etwaige Handelsverluste, die Ihnen durch die Verwendung dieser Daten entstehen könnten.
Es ist verboten, die auf dieser Website enthaltenen Daten ohne die vorherige schriftliche Zustimmung von Fusion Media und/oder des Datenanbieters zu verwenden, zu speichern, zu reproduzieren, anzuzeigen, zu ändern, zu übertragen oder zu verteilen. Alle Rechte am geistigen Eigentum sind den Anbietern und/oder der Börse vorbehalten, die auf dieser Website enthaltenen Daten bereitstellen.
Fusion Media kann von den Werbetreibenden, die sich auf der Website befinden, anhand Ihrer Interaktion mit den Werbeanzeigen oder Werbetreibenden vergütet werden.

Abmelden
Sind Sie sicher, dass Sie sich abmelden möchten?
NeinJa
AbbrechenJa
Veränderung wird gespeichert