INSIGHT-"Besser dran dank China" - Warum es deutsche Firmen gen Osten zieht

Reuters

Veröffentlicht am 19.11.2020 12:20

* China geht gestärkt aus der Pandemie hervor

* Deutsche Wirtschaft ist noch abhängiger von China geworden

* Rückschlag für Berlins Wunsch nach Handels-Diversifizierung

- von Michael Nienaber

Berlin, 19. Nov (Reuters) - Der deutsche Industrieroboter-Hersteller Hahn Automation hat China fest im Blick. In den nächsten drei Jahren will der Mittelständler aus dem rheinland-pfälzischen Rheinböllen mehrere Millionen Euro in der Volksrepublik investieren. So will die Firma von der wieder brummenden Wirtschaft im Reich der Mitte profitieren, die sich schneller als andere von der Corona-Krise erholt. "Wenn wir mit dem chinesischen Markt wachsen wollen, müssen wir vor Ort produzieren", sagt Vorstandschef Frank Konrad über die Investitionsoffensive, die darauf abzielt, die chinesischen Exporthürden in einem für Peking strategisch wichtigen Sektor zu umgehen. "Unser Ziel ist es, bis 2025 bis zu 25 Prozent unseres Umsatzes in China zu erwirtschaften."

Während Chinas Aufschwung für Unternehmen wie Hahn eine gute Nachricht sein mag und Chancen bietet, hat die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel auch die Risiken und Nebenwirkungen im Auge. Die Abhängigkeit vom Geschäft mit der nach den USA zweitgrößten Volkswirtschaft dürfte durch die Pandemie noch steigen. Das Ziel, die Handelsbeziehungen zu diversifizieren und weniger abhängig von der aufstrebenden Supermacht Asien zu werden, wird jedenfalls nicht einfacher zu erreichen sein.

ABHÄNGIGKEIT VON CHINA NOCH GESTIEGEN

Trotz der Bedenken Berlins vertieft die Industrie ihre Beziehungen zu China, das die Pandemie mit härteren Maßnahmen als andere Länder bekämpfte und in diesem Jahr als eine der wenigen Volkswirtschaften der Welt überhaupt wächst. Olaf Kiesewetter, Geschäftsführer des Autosensorik-Zulieferers UST in Thüringen, will ebenfalls ein Viertel des Umsatzes in China erzielen. "Wir merken deutlich, dass China aus der Talsohle wieder raus ist", sagt Kiesewetter. "Das Geschäft zieht kräftig an, die Nachfrage ist so stark wie lange nicht mehr." Bereits jetzt ist die Volksrepublik mit einem Umsatzanteil von 15 Prozent zum größten Exportmarkt von UST außerhalb der Europäischen Union aufgestiegen. "Das dritte Quartal wäre ohne China bei weitem nicht so gut gelaufen", betont der Manager. "Also keine Frage: Durch das China-Geschäft stehen wir definitiv besser da. Und das wollen und müssen wir auch weiter ausbauen."

Solche Verschiebungen hin zu einer stärkeren Abhängigkeit vom chinesischen Markt laufen dem Berliner Diversifizierungskurs zuwider. Dieser geht auf die chinesische Übernahme des bayerischen Robotikunternehmens Kuka KU2G.DE im Jahr 2016 zurück - ein Deal, den deutsche Regierungsvertreter als Weckruf bezeichnen, China von nun an als ernsthaften Konkurrenten zu betrachten.

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Die Abhängigkeit vom China-Geschäft ist nicht nur bei Hahn und UST gestiegen, sondern auch für die deutsche Wirtschaft insgesamt. In den ersten neun Monaten dieses Jahres überholte China Frankreich als zweitwichtigsten Exportmarkt. Im Frühjahrsquartal - als die erste Corona-Welle tobte - verdrängte China sogar die USA vom ersten Platz. Der Anteil der Volksrepublik an den gesamten deutschen Exporten stieg Daten des Statistischen Bundesamt zufolge von Januar bis September auf fast acht Prozent, nach etwa sieben Prozent ein Jahr zuvor. China ist auch Deutschlands wichtigster Lieferant: Der Anteil des Landes an den deutschen Importen ist inzwischen von unter zehn Prozent auf mehr als elf Prozent gestiegen.

Deutschland als Europas größte Volkswirtschaft leidet unter der zweiten Corona-Welle bei wichtigen westlichen Handelspartnern, die die Nachfrage nach Waren "Made in Germany" wieder drücken dürfte. Der Internationale Währungsfonds geht davon aus, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr voraussichtlich im Rekordtempo von sechs Prozent einbrechen wird. China dürfte dagegen um immerhin 1,9 Prozent wachsen. Für 2021 wird sogar ein Plus von 8,2 Prozent vorausgesagt - fast doppelt so viel wie für Deutschland, für das ein Wachstum von 4,2 Prozent angenommen wird.

"KRITISCH VON CHINESISCHEN IMPORTEN ABHÄNGIG"

"Wir beobachten, dass China gestärkt aus der Krise hervorgeht - zumindest kurzfristig", sagt Stefan Mair, einer der Vordenker eines Strategiepapiers des Industrieverbandes BDI aus dem vergangenen Jahr, das Berlin und Brüssel zu einem härteren Vorgehen gegenüber Peking ermutigte. "China ist es gelungen, seine Position in den vergangenen Monaten auszubauen. Das gilt für die deutschen Importe aus China, aber noch mehr für die deutschen Exporte in die Volksrepublik." Insofern sei das kommunistische Land wirtschaftlich noch wichtiger geworden, erklärt Mair, der seit Oktober den Think-Tank SWP leitet.

Einer neuen Studie des Berliner Mercator Institute for China Studies (Merics) zufolge besteht in der EU bei 103 Produktkategorien eine strategische Abhängigkeit von Importen aus China. "Europa ist im pharmazeutischen, chemischen und elektronischen Sektor kritisch von chinesischen Importen abhängig, vor allem von Komponenten, die in technologisch weniger anspruchsvollen Bereichen der Wertschöpfungskette hergestellt werden", sagt Merics-Chefökonom Max Zenglein. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat erst vor wenigen Wochen betont, in Bereichen wie medizinischen Vorprodukten weniger abhängig von asiatischen Lieferanten werden und die europäischen Handelsbeziehungen diversifizieren zu wollen.

Aber das ist leichter gesagt als getan. Die Bemühungen der Bundesregierung, nach der ersten Welle der Pandemie die lokale Produktion von medizinischen Gesichtsmasken anzukurbeln, hatten bislang einen gemischten Erfolg. Peter Haas vom Wirtschaftsverband Südwesttextil sagt, der Vorstoß habe nicht zu einem heimischen, nachhaltigen Markt für medizinische Masken geführt. Der Plan konzentriere sich auf die Finanzierung von Investitionen, beinhalte aber keine Abnahmegarantien. "Nach der anfänglichen Panik hat vor allem die öffentliche Hand den lokalen Herstellern wieder den Rücken gekehrt und kauft nun Schutzmasken zum günstigsten Preis ein - und das oft aus China", sagt Haas. Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums betonte, die Wettbewerbsregeln des EU-Binnenmarktes ließen keine Abnahmegarantien zu. Man sei dennoch zuversichtlich, das Ziel zu erreichen, die lokale Produktion von sieben Milliarden Masken in diesem Jahr zu unterstützen, fügte er hinzu.

"CHINA RIEGELT SICH GNADENLOS AB"

Aber während die chinesische Nachfrage vielen Unternehmen geholfen haben mag, die Pandemie zu überstehen, ärgern sich andere über das spezielle Modell China - einer Mischung aus staatlich kontrollierter Wirtschaft mit privatwirtschaftlichen Aktivitäten. Hahn Automation etwa beklagt Exporthürden für seine Maschinen "Made in Germany", da Peking Industrieroboter als einen der Bereich von besonderem Interesse in seiner Strategie mit dem Titel "Made in China 2025" herausgestellt hat. "China riegelt sich gnadenlos ab", beklagt der Vorstandsvorsitzende Konrad. "Das Land will im Bereich Automatisierung und Industrieroboter einen Großteil der Wertschöpfung ins eigene Land holen. Das ist Teil der chinesischen Industriestrategie."

Damit bleibt dem Unternehmen, das Produktionsmaschinen für den Automobil- und Gesundheitssektor herstellt, kaum eine andere Wahl, als Teile seiner Produktion nach China zu verlagern, wie Konrad erklärt. So investiert Hahn Automation mehrere Millionen Euro in eine neue Fabrik an seinem Standort im ostchinesischen Kunshan. Ziel sei es, bis 2022 bis zu 80 Prozent der Aufträge vor Ort abwickeln zu können. Mittelfristig werde auch eine strategische Partnerschaft in China angestrebt.

"Es geht nicht ohne China, dafür sind der Markt und die Wachstumschancen einfach zu groß", sagt auch SWP-Experte Mair. "Doch den meisten deutschen Unternehmern ist auch klar, dass sie sich keinen Gefallen tun, wenn sie alle ihre Eier in einen Korb legen."

Peking erklärte im Juni als Reaktion auf die Aufforderungen der EU, seine Wirtschaft stärker zu öffnen, dass Fortschritte erzielt worden seien. Die Regierung lehnte aber auch jegliche Einmischung in chinesische Angelegenheiten ab und sagte, es verstoße nicht gegen die Regeln des Welthandels. Um die Produktionsmöglichkeiten in Asien zu erweitern, fassen deutsche Firmen inzwischen alternative Standorte wie Indonesien oder Vietnam ins Auge, sagt Friedolin Strack, der die Abteilung Außenwirtschaft beim BDI leitet. Er mahnt zu Geduld: "Es lässt sich wohl erst in drei bis fünf Jahren abschätzen, wie stark sich deutsche Firmen in Asien breiter und ein Stück weit von China unabhängiger aufstellen."

Merics-Ökonom Zenglein plädiert dafür, dass Europa selbstbewusst gegenüber der Volksrepublik auftritt. Die EU sollte sich in ihrer China-Politik nicht von überzogenen Ängsten vor der eigenen Verletzlichkeit leiten lassen, sondern sich auf ihre Stärken besinnen. Schließlich sei auch Peking auf ein gutes Verhältnis zu Berlin und Brüssel angewiesen. "China würde unter schlechteren Beziehungen mit der EU leiden, die zu den größten ausländischen Investoren zählt und damit zahlreiche Arbeitsplätze schafft", sagt Zenglein. "Zudem ist die EU für China ein wichtiger Markt und eine Quelle von dringend benötigtem technologischen Know-how."

<^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^ INSIGHT-"Operation Schutzmaske" - Warum Unabhängigkeit von China so schwierig ist

(Weitere Reporter: Rene Wagner, Andreas Rinke redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern 030 2201 33711 (für Politik und Konjunktur) oder 030 2201 33702 (für Unternehmen und Märkte)

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