Diesel-Fahrer weiter im Unklaren über Fahrverbote

Reuters

Veröffentlicht am 22.02.2018 17:10

Aktualisiert 22.02.2018 17:20

Diesel-Fahrer weiter im Unklaren über Fahrverbote

- von Markus Wacket und Ilona Wissenbach

Leipzig (Reuters) - Die Hängepartie um Fahrverbote für Diesel-Autos in Großstädten geht weiter.

Das Bundesverwaltungsgericht vertagte am Donnerstag die von Millionen Diesel-Fahrern und der Autoindustrie mit Spannung erwartete Entscheidung. "Wir sehen noch erheblichen Beratungsbedarf", sagte der Vorsitzende Richter Andreas Korbmacher. Er will nun am Dienstag verkünden, ob solche Verbote wegen der hohen Stickoxid-Belastung in Ballungsräumen zulässig sind. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die dies einklagen will, zeigte sich zuversichtlich: "Es ist alles noch offen, wir sind aber deutlich optimistischer", sagte DUH-Chef Jürgen Resch in Leipzig. Die Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die gegen die Urteile ihrer Verwaltungsgerichte zu Gunsten von Fahrverboten in Revision gingen, halten die folgenreiche Maßnahme ohne bundesweite Regelung dagegen für unzulässig. Auch sie erkannten beim Richter Sympathie für ihre Haltung. Man habe den Senat zum Nachdenken gebracht, sagte Baden-Württembergs Anwalt Wolfram Sandner. "Ich halte dies für eine gutes Zeichen."

Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass der Fall zunächst den Europäischen Gerichtshof beschäftigt. Die Frage, ob nationale Rechtsfragen hinter dem EU-Recht zurückträten, könnte auch dort geklärt werden, was über ein Jahr dauern könnte. Damit rechnen die Prozessparteien aber nicht. "Wir gehen fest davon aus, dass das Gericht selbst entscheiden wird", sagte DUH-Chef Resch. Er verwies darauf, dass Richter Korbmacher selbst auf die Dringlichkeit hingewiesen habe, die EU-Grenzwerte beim Stickoxid einzuhalten. In der Tat hatte Korbmacher betont, dass dem EuGH wegen der anhaltenden Grenzwert-Überschreitungen allmählich der Geduldsfaden reißt. Die Vorschriften in der EU gelten schon seit 2010. "Wir befassen uns mit der Frage sehr ernsthaft: Was verlangt das Unionsrecht?", sagte er.

Die Luftbelastung nimmt zwar ab, ist aber in 70 Städten immer noch zu hoch. Dabei fordert das Gesetz bei Verstößen Gegenmaßnahmen. Die EU-Kommission sei jedenfalls nicht für den Stadtverkehr zuständig, das sei Sache der Behörden vor Ort, erklärte ein Kommissionssprecher in Brüssel. Die EU-Vertragshüterin hat gegen Deutschland und neun weitere EU-Staaten bereits ein Vertragsverletzungsverfahren laufen. Die Behörde steht kurz vor einer Klage gegen Deutschland vor dem EuGH.

AUCH AUTOINDUSTRIE LEIDET UNTER DEBATTE

Die Unsicherheit über mögliche Fahrverbote hat das ohnehin durch den VW-Abgasskandal ramponierte Image der Selbstzünder noch mehr beschädigt. Kunden ziehen beim Neuwagenkauf immer häufiger Autos mit Benzinmotoren vor. Das bringt die Autoindustrie in die Bredouille bei den strengeren Vorschriften für Kohlendioxid (CO2) in der EU. Denn die verbrauchsärmeren Diesel-Autos stoßen weniger Klimagas aus als solche mit Otto-Motor. Sollte der EuGH sich länger damit beschäftigen, ob Fahrverbote bundesweit geregelt werden müssen und ein verhältnismäßiges Mittel des Gesundheitsschutzes sind, dürfte die Abkehr vom Diesel weitergehen.

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Die Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Düsseldorf hatten geurteilt, dass die Städte Fahrverbote für einzelne Straßen oder sogar die gesamte Umweltzone verhängen müssten. Die Anwälte der Länder argumentieren aber, ohne eine nur bundesweit mögliche Regel für ein entsprechendes Verbotsschild wäre die Verbannung von älteren Selbstzündern aus den Städten nicht möglich. Die DUH hält das nicht für notwendig.

Korbmachers Urteil hat Bedeutung weit über Düsseldorf und Stuttgart hinaus - eben weil es insgesamt 70 Städte sind, die die EU-Grenzwerte reißen und deshalb Fahrverbote ins Auge fassen müssen. Im Jahresmittelwert sind maximal 40 Mikrogramm NOx erlaubt. Am Stuttgarter Neckartor, lange Zeit die Messstelle mit der dicksten Luft in Deutschland, sank der Wert seit Jahren auf zuletzt 73 Mikrogramm. Jetzt ist die Landshuter Allee in München Spitzenreiter bei der Luftbelastung.

Werden die Fahrverbote für zulässig erklärt, müssten sie schnellstmöglich in Kraft treten. Der Spielraum der Kommunen ist dabei stark eingeschränkt. Fahrverbote für Diesel-Autos können dann im gesamten Innenstadtbereich, in Umweltzonen oder an besonders belasteten Straßenzügen greifen und noch in diesem Jahr in Kraft gesetzt werden.