Reuters
Veröffentlicht am 20.07.2018 12:04
CSU leckt nach Asylstreit ihre Wunden - Richtungsstreit gärt
- von Jörn Poltz
München (Reuters) - Nach der Eskalation des Flüchtlingsstreits mit der CDU kehrt die CSU die Scherben zusammen.
In der bayerischen Partei wächst die Erkenntnis, dass ihr die Attacken auf die Politik von CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel mehr geschadet als genutzt haben. Drei Monate vor der Landtagswahl sinken die Umfragewerte der CSU in Bayern unter 40 Prozent, während sich der Angstgegner AfD hartnäcking bei zwölf bis 14 Prozent hält. Mittlerweile müssen CSU-Chef Horst Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder nicht nur den Verlust der absoluten Mehrheit bei der Wahl am 14. Oktober befürchten. Möglich erscheint nun auch, dass die CSU erstmals seit einem halben Jahrhundert sogar mehr als einen Koalitionspartner zum Regieren in Bayern braucht. Die CSU droht ihren Nimbus als Stimme des zweitgrößten deutschen Bundeslands zu verlieren.
Während sich die Parteiführung vordergründig um Geschlossenheit bemüht, brodelt in der CSU ein Richtungsstreit darüber, wie die Erosion der Machtbasis zu stoppen sei: Soll sich die CSU mit rechtskonservativen Positionen verstärkt um Wähler der AfD bemühen? Oder soll sie soziale und liberale Positionen hervorkehren, um keine Wähler in der politischen Mitte zu verlieren? Die verschiedenen Lager versammeln sich hinter drei führenden Köpfen in München, Berlin und Brüssel: Ministerpräsident Söder und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, die konservative Forderungen betonen, sowie der zum liberalen Flügel gerechnete Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament, Manfred Weber. Alle drei CSU-Vorstandsmitglieder gelten als Anwärter auf den Parteivorsitz, wenn sich der umstrittene Amtsinhaber Seehofer eines Tages endgültig zurückzieht.
In München gibt es bereits Stimmen, die einen Führungswechsel nach der Landtagswahl erwarten. "Nach der Wahl werden die Karten neu gemischt", sagt ein CSU-Politiker, der ungenannt bleiben will. Seehofer, der als Parteichef bis 2019 gewählt und als Bundesinnenminister bis 2021 vereidigt ist, hat seine Partei wiederholt mit Rücktrittsäußerungen verunsichert. Vor Jahren kündigte er seinen Abschied als Parteichef und damaliger bayerischer Ministerpräsident bis Herbst 2018 an. Dieses Versprechen nahm er im vergangene Jahr erst zurück, um beide Ämter zu behalten. Dann vollzog er eine erneute Kehrtwende, als er auf Druck der Partei den Posten des Regierungschefs für seinen langjährigen Rivalen Söder räumte.
Anfang Juli schockierte Seehofer die Partei mit einer Rücktrittsankündigung als Minister und Parteichef, nachdem ihm Vorstand und Landesgruppe bei seinem harten Kurs gegen Merkel nicht einstimmig folgen wollten. Dies nahm er wenig später zurück, als eine Lösung des Konflikts mit Merkel über Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze doch noch möglich erschien.
Auch für solche Wendungen wird der 69-Jährige als "Drehhofer" verspottet. Seehofer bezeichnete die Nennung eines Rückzugsdatums vor mehreren Jahren später selbst als einen seiner größten politischen Fehler - wohl wissend, dass die Partei sich daraufhin zunehmend mit der Nachfolgefrage beschäftigte. Nun ist es wieder so weit. Als erstes Vorstandsmitglied wagte sich der frühere Parteichef Erwin Huber aus der Deckung, der einst nach einer verlorenen Landtagswahl seinerseits von Seehofer abgelöst worden war. "Man kann eine Volkspartei nicht vom Raumschiff aus steuern", sagte Huber dem "Spiegel". Die Bemerkung fiel dem Magazin zufolge zwar mit Blick auf Seehofers Neigung zu einsamen Entscheidungen. Weil das "Raumschiff" aber auch eine Chiffre für eine als bürgerfern kritisierte Bundespolitik in Berlin ist, wurde Hubers Bemerkung in München aufmerksam registriert. In der Landtagsfraktion, der Huber angehört, wünschen sich viele Söder als Parteichef.
RETOURKUTSCHE VOM CHEF
Zunächst wird in der CSU allerdings erwartet, dass Söder ein gutes Wahlergebnis einfährt. Der 51-Jährige, der sich als Scharfmacher profiliert hat und im Flüchtlingsstreit mit Merkel sogar als Wortführer der CSU auftrat, bemüht sich um Schadensbegrenzung. "Ich werde das Wort 'Asyltourismus' nicht wieder verwenden", versprach er jüngst vor dem Landtag. Im Unterschied zur AfD müssten die übrigen Parteien einen respektvollen Stil pflegen, sagte Söder und erntete damit Spott der Opposition, die seine Forderungen als unglaubwürdig bezeichnete. Die Schuld an den Umfragewerten schiebt Söder auf die Bundespolitik, wo neben Merkel auch seine Parteifreunde Seehofer und Dobrindt wirken. "Aus Berlin wünsche ich mir mehr Unterstützung", klagte Söder im "Münchner Merkur". "Umfragewerte, die wir im Moment haben, sind überwiegend geprägt von Berliner Entscheidungen." Kritik übte Söder auch an Seehofers Rücktrittsdrohung: "Solche Wochenenden braucht es nicht mehr."
Seehofers Retourkutsche kam prompt. Er habe Söder ein prosperierendes Land und eine absolute Regierungsmehrheit hinterlassen, erinnerte der langjährige Ministerpräsident seinen Nachfolger in einem Zeitungsinterview. "Er hat alle Chancen - und kann mit seiner Staatsregierung CSU pur umsetzen", sagte Seehofer der "Augsburger Allgemeinen", die wie der "Münchner Merkur" zu den meistgelesenen Zeitungen Bayerns zählt. Dass Söder in der Tat seit seinem Amtsantritt im März das Füllhorn über Familien, Wohnungssuchenden, Universitäten und der Polizei ausschüttet, ging in der öffentlichen Diskussion über die Flüchtlingspolitik vielfach unter. Söder will sich nun wieder stärker der Landespolitik zuwenden und sucht sein Heil in demonstrativer Geschlossenheit: "Wir müssen uns alle unterhaken", forderte er seine Partei auf.
Derweil setzen Dobrindt und Weber ihren Disput über die Marschrichtung fort. "Eine zu große Wählergruppe hat sich in der Vergangenheit aus den politischen Debatten ausgeschlossen gefühlt", mahnte der Landesgruppenchef in dieser Woche im "Münchner Merkur". Anders als Söder ist Dobrindt von polemischen Zuspitzungen in der politischen Debatte nicht abgerückt - auch um die AfD zu bekämpfen. "Die Mehrheit will eine bürgerlich-konservative Politik", lautet Dobrindts wiederholt formuliertes Credo. Weber hält dagegen. "Allein die Betonung des Konservativen gefährdet zwangsläufig die Mehrheitsfähigkeit der CSU", schrieb der Europapolitiker vor Kurzem in einem Gastbeitrag der "Welt". "Parteien der Mitte" dürften sich nicht an den politischen Rändern orientieren und Ängste bedienen: "Das muss ein Ende haben."
Geschrieben von: Reuters
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