Aktienmärkte: Wie es aktuell zu einem langjährigen Bärenmarkt kommen könnte

 | 11.07.2020 08:06

Zu der Börse-Intern von Mittwoch dieser Woche, in der es um einen Vergleich aktueller Entwicklungen mit denen der „Neuer Markt“-Blase ging, haben mich einige Leser-Mails erreicht. Eine lautete zum Beispiel wie folgt:

Sehr geehrter Herr Weisenhaus,

vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Ich bin wie Sie der Meinung, dass angesichts der gegenwärtigen Situation, sprich der Corona-Krise, die Bewertungen sehr hoch sind. Aber ich sehe auch, dass die Aussicht auf "jemals" wieder steigende Zinsen sehr gering ist. Könnte dies nicht dafür sorgen, dass die längst überfällige Korrektur bzw. ein Angleichen der Preise von Aktien an die Realität wesentlich sanfter ausfallen könnte, als das nach der DotCom-Blase der Fall war?

Mit freundlichen Grüßen

Noch keine neue Blase am Aktienmarkt
Ich möchte dies zum Anlass nehmen, klar zu stellen, dass ich aktuell keine Blase am Aktienmarkt sehe, wie wir sie zur Jahrtausendwende hatten. Die Entwicklungen und Situationen von damals und heute sind nicht in allen Aspekten die gleichen. So haben die Bewertungen, gemessen zum Beispiel am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), noch längst nicht das irrsinnige Niveau von damals erreicht, zumindest nicht in der Breite des Marktes. Vergleichbar sind die Übertreibungen lediglich bei einigen Technologieaktien.
Ein großer Unterschied besteht auch darin, dass die Aktienkurse zur Jahrtausendwende in eine Übertreibung geraten waren, weil die Anfänge des Internetzeitalters zu einer Goldgräberstimmung geführt hatten. Und erst durch das Platzen der Blase ist damals eine Krise entstanden. Heute werden dagegen Technologie- und einige andere Aktien gehypt, weil die Nachfrage nach deren Produkten durch eine bereits vorhandene Krise gestiegen ist. Allerdings hat das inzwischen auch zu einer Goldgräberstimmung bei diversen Aktien geführt.

Die Zinssituation und die Geldpolitik sind heute auch andere als zu Zeiten des Neuen Marktes. Und genau deshalb gehe ich DERZEIT nicht davon aus, dass wir bald einen ähnlich starken und langen Abwärtstrend am Aktienmarkt erleben werden, wie wir ihn in den Jahren 2000 bis 2003 erlebten. Denn in der Corona-Krise mangelt es schlicht an Anlagealternativen. Vorstellbar ist aber durchaus, dass die Aktienindizes noch einmal nah an die Tiefs vom März heranlaufen.

Einen neuen Bärenmarkt sollte man nicht ausschließen
Ich schließe allerdings einen neuen Bärenmarkt, der über mehrere Jahre andauern kann, nicht aus. Denn die aktuelle Krise kann sich noch sehr lange hinziehen, wenn ein Impfstoff auf sich warten lässt und weitere Infektionswellen über den Globus schwappen. Viele Arbeitsplätze sind zwar im Rahmen der ersten Welle nur temporär, viele aber auch auf längere Sicht verloren. Das macht die Rückkehr auf das Vorkrisen-Niveau schwer. Zudem hatte ich vorgestern noch einmal die Verschuldung angesprochen, die deutlich gestiegen ist und zukünftige Investitionen bremst. Auch dies wird das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamen.

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Eine Abwärtsspirale ist denkbar
Und sollte auf diese Lage eine zweite große Infektionswelle treffen, könnte das die Weltwirtschaft in eine erneute und dann wohl auch noch tiefere Rezession stürzen. Denn in einem solchen Fall würden Verbraucher und Unternehmen, was ihr Konsum- bzw. Investitionsverhalten angeht, noch sparsamer sein müssen. Dadurch würden weitere Arbeitsplätze verloren gehen und die Gewinne der Unternehmen noch stärker sinken. Die Aktienkurse würden in der Folge fallen, das Vermögen der Welt sinken, was wiederum zu Konsumrückgang, einer höheren Sparquote und damit weiter sinkenden Unternehmensgewinnen führt. Diverse Unternehmen wären dann nicht mehr in der Lage, ihre Kredite zu bedienen. Diese könnten ausfallen, womit die Gefahr einer Kreditkrise wie 2007 steigt, die sich schnell zu einer neuen Bankenkrise und letztlich einer Finanzkrise wie 2008/2009 ausweiten könnte. Eine Abwärtsspirale wäre im Gange.

Möglichkeiten der Notenbanken sind begrenzt
Und die Möglichkeiten der Notenbanken, dies zu verhindern, sind begrenzt, auch wenn die Währungshüter naturgemäß Gegenteiliges behaupten, um Optimismus zu versprühen und die Marktteilnehmer bei Laune zu halten. Doch klar ist: Wenn die Notenbanken zu viel Geld drucken und sie den Bogen überspannen, werden die Investoren das Vertrauen in Währungen verlieren. Die Katastrophe für das (weltweite) Finanzsystem wäre perfekt. Soweit werden es die Notenbanken vermutlich nicht kommen lassen. Und die Begrenzung an weiterer Unterstützung durch die Notenbanken könnte die Aktienkurse zusätzlich belasten.

Cash kann eine Anlagealternative sein
Auch ein Mangel an Anlagealternativen wird dem Aktienmarkt dann nicht mehr helfen. Denn wenn die Aktienkurse immer weiter fallen, ist Cash durchaus eine alternative Anlageform. Insbesondere dann, wenn wir aufgrund von schwacher Konsumnachfrage sogar in deflationäre Tendenzen kommen, die es ja auch jüngst sogar schon gegeben hat. Denn bei Deflation hat Cash keinen Wertverlust, sondern formal sogar einen Wertgewinn.

Ein Beispiel für eine langjährige Baisse am Aktienmarkt ist Japan, wo die Aktienkurse trotz extrem niedriger Zinsen gefallen sind.