Wenn der letzte Bär zum Bullen wird

 | 26.03.2024 08:43

Am Freitag kündigte Sven Weisenhaus hier „Die neue Rally am Aktienmarkt “ an. Diese Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen.h2 Freundschaftliche Stockstreet-Frotzeleien/h2

„Am Montag beginnt übrigens der Crash!“, neckte ich ihn. „Endlich!“, rief er. Das war nicht das, was ich erwartet hatte. „Willst du gar nicht wissen, warum?“, fragte ich. „Doch“, erwiderte er, „welcher Prophet behauptet das denn diesmal?“ Da hatte ich ihn: „Du!“

Er nahm es gelassen. „Ach so, weil ich jetzt bullish werde?“ „Genau!“ „Na, beim letzten Mal hat’s auch nicht funktioniert.“ Dann wurde er nachdenklich. „Obwohl – möglich ist es. Inzwischen glaube selbst ich kaum noch an fallende Kurse“, schob er augenzwinkernd nach. „Und wenn der letzte Bär zum Bullen wird…“

Warum ich Sie hier mit unseren freundschaftlichen Frotzeleien langweile? Weil sie einen ernsten Hintergrund haben. Irgendwer hat mal die Metaphern einer „Bullenkoppel“ und einer „Bärenkappe“ aufgebracht und dazu auch die passenden Bilder geliefert: Der letzte Bär, der in seinem Loch sitzt, die Bärenkappe tief in die Stirn gezogen, und die ganze Zeit zusehen muss, wie sich die Bullen fröhlich auf der sonnigen Bullenkoppel tummeln, wird sich irgendwann dämlich vorkommen. Dann setzt er seufzend die olle muffige Kappe ab, verstaut sie schweren Herzens in einer dunklen Ecke – und hüpft fröhlich zu den anderen Bullen auf die Koppel.

h2 Ein wertvolles Stimmungsbild/h2

Das geschieht, kurz bevor das große Unwetter die Bullenkoppel heimsucht…

Wer soll in einer Übertreibung noch kaufen, wenn alle bullish und bis über beide Ohren investiert sind – am besten noch auf Kredit? Solange noch Anleger verzweifelt und auf Cash-Polstern sitzend den steigenden Kursen hinterherschauen, wird immer noch ein größerer Narr den anderen Zockern ihre überteuerten Aktien für einen noch höheren Preis abkaufen. Aber wer soll das tun, wenn auch der letzte Bär zum Bullen geworden ist?

Daher ist es ein wertvolles Stimmungsbild, wenn jemand, der lange Zeit eine gleichbleibende Meinung zum Markt kundgetan hat, diese plötzlich wechselt.

h2 Ein aufschlussreicher Praxisfall/h2

Einen solchen Fall habe ich selbst schon erlebt: Als ab 2007 die Ölpreise immer höher stiegen, schrieb eine Analystin lange Zeit tapfer dagegen an. Sie beharrte darauf, dass der Ölpreis fundamental eher bei 75 als bei 90 Dollar stehen sollte. Doch der Preis stieg weiter: 100, 120, 130, 140 Dollar. Nach und nach gingen ihr die Argumente aus. Goldman Sachs (NYSE:GS) rief schon 200 Dollar als Kursziel aus.

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Irgendwann kapitulierte die Analystin. Sie blieb zwar dabei, dass 75 Dollar der „richtige“ Preis sei, aber sie begann nun, Gründe zu konstruieren, warum in diesem Fall die Preise trotzdem so hoch stehen müssen.

h2 „Diesmal ist alles anders“/h2

Und da war es wieder, das „Diesmal ist alles anders“-Syndrom. Diese vier Worte (englisch: „This time is different“) hat mal jemand die gefährlichsten vier Worte an der Börse genannt. Und jedes Mal, wenn die Anleger der Meinung waren, dass die bisherigen Regeln außer Kraft gesetzt sind, stand das Unheil schon vor der Tür: der Crash ab 1929, die Nifty-Fifty-Manie der 1960er/70er Jahre, die Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende, Tesla (NASDAQ:TSLA), Nvidia (NASDAQ:NVDA) und viele andere Beispiele – jedes Mal stiegen die Kurse scheinbar unaufhaltsam oder derart nachhaltig, das irgendwann auch die letzten, die mit guten Argumenten zweifelten, kleinlaut wurden.

Wer wollte abstreiten, dass es Game Changer gibt, die etwas radikal ändern – siehe Apple-Smartphones vs. Nokia-Handys? Außerdem: Wurde uns nicht beigebracht, dass der Markt immer Recht hat? Wenn also der Markt, die Aktie, der Ölpreis steigt und steigt und steigt… Na, bitte!
Und so war es auch 2008: Kurz nachdem besagte Analystin ihre Zweifel unterdrückt hat, markierte der Ölpreis sein Hoch, die Finanzkrise brach aus und tat das Ihre, um ihn wieder in den Keller zu schicken.

Und nun also Sven Weisenhaus...

h2 Es hat sich nichts geändert/h2

Aber natürlich hat er seine Meinung gar nicht geändert. Er ist nach wie vor – wie ich – der Ansicht, dass viele Segmente der Aktienmärkte charttechnisch überkauft und fundamental überbewertet sind, insbesondere die US-Märkte. Und er hat schon seit Langem darauf hingewiesen, dass es noch Nischen gibt, in denen das nicht der Fall ist.

Bis vor Kurzem gehörten auch (große) europäische und deutsche Aktien dazu. Aber nach den jüngsten Anstiegen mögen der Euro STOXX 50, der STOXX Europe 600 oder DAX vielleicht noch nicht überbewertet sein, überkauft aber allemal. Da muss man den Kursen jetzt auch nicht mehr hinterherlaufen.Entfalten Small und Mid Caps endlich ihr Potenzial?

SDAX, MDAX und andere Small- und Mid-Cap-Segmente scheinen dagegen tatsächlich noch Potenzial zu haben. Die Frage ist nur, ob und wann sie es entfalten. Momentan gibt es dafür noch nicht einmal Indizien. Dazu ein Blick auf den MDAX im Vergleich zum DAX: