Warum ausgerechnet jetzt?

 | 01.09.2015 10:10


Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

Sie wissen, dass wir eine gesunde Skepsis hegen gegenüber den meisten medialen Begründungen für die Kursbewegungen an den Börsen. Das gilt auch und erst recht für die Erklärungen zur jüngsten Panik. Es gibt aber einen kleinen Trick, wie man viele dieser „Gründe“ als vorgeschoben entlarven kann. Eine ganz einfache Frage
Sie kennen sicherlich das geflügelte Wort „Cui bono?“ (=Wem zum Vorteil, also wem nutzt es?), mit dem man häufig die wahren Ziele der Handlungen und Aussagen anderer besser erkennen kann.

An der Börse lautet die entlarvende Frage „Warum ausgerechnet jetzt?“
Warum soll ausgerechnet jetzt dieser oder jener Grund zu der aktuellen Kursbewegung geführt haben?, ist also eine Frage, die wir uns in der Redaktion laufend stellen, wenn die Medien uns die Börsenwelt erklären wollen. Wenn Sie auf diese Frage keine plausible Antwort finden, dann ist der Grund mit hoher Wahrscheinlichkeit vorgeschoben.
Wenden wir diese Methode mal auf die wichtigsten Begründungen an, die wir in der seit dem Frühjahr laufenden Korrektur im DAX hörten und lasen.

„Gründe“ und Charttechnik
Da war zunächst die Griechenlandkrise. Hier führt diese Frage zumindest für den Zeitraum ab Juni/Juli tatsächlich zu einer plausiblen Erklärung: Die Griechenlandkrise eskalierte – unerwartet! – Ende Juni/Anfang Juli, es drohte der Grexit. Als es dann doch noch zu einer Einigung kam, stiegen die Kurse in einer Erleichterungsrally dementsprechend deutlich an. (Eine solche gegenteilige Kursreaktion, wenn der Grund wegfällt, ist übrigens ein zweites starkes Indiz dafür, dass dieser tatsächlich eine Rolle spielte – leider erst im Nachhinein.)
Bei allen anderen Gründen, die uns im weiteren Verlauf des Rückfalls genannt wurden, liefert hingegen unsere kleine Frage zu wenig überzeugende Antworten. So wurde der Rücksetzer Ende Juli mit dem Crash an Chinas Aktienmärkten begründet. Dieser Crash begann aber schon Mitte Juni und erreichte sein erstes Tief Anfang Juli. Bei dieser ersten Abwärtswelle verlor der Shanghai Composite mehr als 32 % (siehe folgender Chart).