James Picerno | 23.05.2023 06:51
Die Warnungen, dass die US-Wirtschaft kurz vor einer Rezession steht, halten schon seit Monaten an, das Wachstum überrascht aber immer wieder positiv. Für die unmittelbare Zukunft und vielleicht auch darüber hinaus ist mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung zu rechnen.
Es gibt aber genug Gründe, sich einer pessimistischeren Sichtweise zuzuwenden. Ein Anhaltspunkt dafür ist die anhaltende Inversion der Renditekurve von US-Staatsanleihen, die nach wie vor tief im roten Bereich liegt. Der Spread der 10-jährigen Treasury abzüglich der 3-monatigen T-Bills liegt derzeit bei 52 Basispunkten (16. Mai) und seit Juli 2022 konstant unter der Nulllinie.
Zahlreiche Untersuchungen weisen darauf hin, dass sich eine invertierte Renditekurve über Jahrzehnte hinweg als verlässlicher Indikator für Rezessionen erwiesen hat. Diese Weisheit könnte sich auch wieder bestätigen, nur widersetzt sich die Wirtschaft auch weiterhin den Wahrscheinlichkeiten, die mit der Renditekurve und anderen Konjunkturindikatoren korreliert sind.
Die Wirtschaftstätigkeit hat sich in letzter Zeit verlangsamt, aber der wöchentliche Wirtschaftsindex (WEI) der New Yorker Fed deutet darauf hin, dass sich der Abschwung stabilisiert (bis 6. Mai). Nach einem kontinuierlichen Abwärtstrend im Jahr 2022 hat sich der WEI in diesem Jahr auf einem Niveau eingependelt, das ein mäßiges bis schwaches Wachstum widerspiegelt.
In Ökonomenkreisen wird heftig darüber diskutiert, warum die Wirtschaft so stabil geblieben ist, und es herrscht große Unsicherheit darüber, wie lange das schleppende Wachstum noch anhalten kann. Bis jetzt konnten die USA dem Beginn einer vom NBER definierten Rezession jedoch ausweichen, und ein Wendepunkt scheint nicht unmittelbar bevorzustehen.
Die Robustheit des Wachstums war überraschend, wenn man verschiedene Messgrößen für den allgemeinen Makrotrend heranzieht. Auf den Seiten von CapitalSpectator.com sahen die Chancen Ende letzten Jahres gut dafür aus, dass der Wendepunkt gekommen sein könnte. Doch auf dem Weg in die Rezession geschah etwas Merkwürdiges: Trotz des anfänglichen Abschwungs der Wirtschaft im Herbst 2022 hat sie sich wider Erwarten stabilisiert.
Meiner Einschätzung nach herrschen nach wie vor stagnierende bis leicht negative konjunkturelle Bedingungen, dabei stütze ich mich auf einige eigene Messgrößen, die wöchentlich im US Business Cycle Risk Report aktualisiert werden. Die Geschichte zeigt, dass eine vom NBER definierte Rezession begonnen hat oder kurz bevorsteht, wenn der Economic Trend Index und der Economic Momentum Index unter bestimmte Schwellenwerte fallen.
Aber dieses Mal hat sich gezeigt, dass wir mit einer Ausnahme konfrontiert sind. Nach dem anfänglichen Rückgang des ETI und EMI Ende 2022 kam es nicht zu dem erwarteten steileren Abrutschen in den negativen Bereich, sondern die Indizes erholten sich leicht.
Die Vorausschätzungen für den ETI und EMI bis Juni zeigen sogar Zeichen für eine Expansion. Die Prognosen für beide Indizes deuten auf eine Rückkehr zu einem stagnierenden bis mäßigen Wachstumstempo hin.
Das Anhalten des langsamen Wachstums stimmt auch mit dem ADS-Index der Philly Fed überein, der für die US-Wirtschaft am 6. Mai eine leicht überdurchschnittliche Aktivität anzeigt.
Was könnte die Robustheit der Wirtschaft noch entgleisen lassen? Es gibt viele Möglichkeiten, wenn das Wachstum langsam/schwergängig ist, darunter auch der Schatten, der derzeit über den Vereinigten Staaten schwebt: die Schuldenkrise. Wenn in Washington nicht bald eine Einigung erzielt wird, könnten die Folgen einer Zahlungsunfähigkeit der USA die Wirtschaft in den Abgrund reißen. Wenn die Politiker eine Lösung finden, ist eine Rezession in den USA in unmittelbarer Zukunft jedoch eher unwahrscheinlich.
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