Michael Kramer | 23.05.2022 06:40
Die Aktienmärkte befinden sich im freien Fall, und jeder sucht nach einer Konsolidierung oder nach Anzeichen dafür, dass zumindest in absehbarer Zeit ein endgültiger Tiefpunkt zu erwarten ist. Aber bis jetzt signalisieren die klassischen Indikatoren noch keine Bodenbildung. Dies könnte bedeuten, dass die Aktien im Jahresvergleich zwar schon stark gefallen sind, die Talsohle aber möglicherweise immer noch nicht erreicht ist.
Wenn Anleger einfach nur alles verkaufen wollen, was nicht niet- und nagelfest ist, können Indikatoren wie der "Angstindex" VIX in die Höhe schnellen. Bislang ist der VIX zwar etwas angestiegen, jedoch nicht dramatisch.
Er hat sich seit Anfang des Jahres recht konstant zwischen 20 und 35 gehalten. Um überhaupt an eine Konsolidierung des Marktes denken zu können, müsste der VIX erst einmal aus dieser Spanne ausbrechen und auf ein höheres Niveau steigen.
Zudem ist auch das Verhältnis von gehandelten Verkaufsoptionen zu Kaufoptionen (Put-Call-Verhältnis) erstaunlich niedrig. Wenn das Put- Call-Verhältnis über 1,35 steigt, ist dies normalerweise ein recht guter Indikator dafür, dass sich der S&P 500 einem Tiefpunkt nähert oder einen solchen erreicht hat. Der bisherige Höchststand des Put-Call-Verhältnisses liegt bei 1,34. Eine aussagefähige Spitze sollte weit über der 1,35-Marke liegen.
Es ist auch schwierig, an einen Tiefpunkt für einen breit angelegten Index zu denken, wenn konjunktursensible Barometer und Indizes wie der Dow Jones Transportation immer neue Tiefststände erreichen. Der Transportation Index hat gerade erst am 19. Mai einen neuen Tiefstand erreicht und dabei einige wichtige technische Unterstützungswerte durchbrochen.
Auch der Biotech-Sektor, der 2021 als einer der ersten Sektoren den Abstieg begann, ist stetig gefallen und notiert nun wieder auf den Tiefstständen der Pandemie. Wenn diese Aktiengruppen beginnen, entgegengesetzt zu den breiteren Indizes zu handeln, signalisiert das möglicherweise eine Konsolidierung.
Historisch gesehen erreicht das KGV des S&P 500 seinen Tiefpunkt auf einem viel niedrigeren Niveau, nämlich unter 15. Zwischen Herbst 2018 und März 2020 erreichte das KGV einen Tiefststand von knapp 14, was besagt, dass der S&P 500 derzeit bei rund 3.200 Punkten oder 17,8 % unter dem Stand vom 19. Mai liegen sollte.
Das soll nicht heißen, dass der Index noch weitere 17 % fallen wird, aber es lässt vermuten, dass er noch nicht an dem Punkt angekommen ist, an dem auch die letzten Investoren verkaufen. Wenn das geschieht und die Sektoren, die die Talfahrt eingeleitet haben, wieder anziehen, kann man von einer Konsolidierung am Tiefpunkt sprechen.
Diese Konsolidierung wird sich gewiss von anderen Prozessen dieser Art der letzten zehn Jahre stark unterscheiden, weil die Fed dem Markt diesmal nicht zur Hilfe kommen wird. Der Markt wird ganz auf sich selbst gestellt sein, von daher wird der Erholungsprozess schwieriger sein als in der jüngsten Vergangenheit.
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