Nivida-Aktie: Wie günstig ist günstig genug?

 | 19.10.2022 06:50

Jahrzehntelang wurden Halbleiteraktien im Allgemeinen mit einem Abschlag gegenüber dem Gesamtmarkt gehandelt. Der Grund dafür ist ganz einfach: Die Branche war extrem zyklisch.

Eine höhere Nachfrage nach bestimmten Chips resultiert in der Regel zu höheren Preisen und in der Konsequenz zu höheren Erträgen. Die Hersteller reagieren darauf mit dem Ausbau von Kapazitäten. Wenn die Nachfrage zurückgeht, würde das höhere Angebot zu einem Preisverfall führen, und die Gewinne würden in den Keller rutschen.

Hinzu kommt die relativ schnelle Alterung vieler Halbleiterdesigns, weshalb die Investoren der Beständigkeit der Branchengewinne nicht trauen konnten. Infolgedessen setzten sie in der Regel einen niedrigeren Multiplikator auf diese Gewinne an als bei anderen Unternehmen, die in der Lage waren, ihre Gewinne über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinweg zu steigern.

In den letzten Jahren begann sich diese Wahrnehmung jedoch zu ändern. Einer der größten Nutznießer von der neuen Sichtweise war Nvidia (NASDAQ:NVDA). Jahrelang wurden die Aktien des Halbleiterherstellers mit einer Prämie zum Tech-Markt gehandelt, ganz zu schweigen vom Gesamtmarkt.

Einer der Hauptgründe für diesen Kursaufschlag war die Überzeugung, dass die zyklische Natur des Geschäfts für die Branche als Ganzes und für Nvidia im Besonderen abnimmt. Mit dem Aufkommen des Internets, vernetzter Geräte und vieler anderer Trends explodierte der Markt für Halbleitertechnik.

Bei Nvidia versprach das Wachstum in den Bereichen Rechenzentren und Gaming eine auf Jahre hinaus steigende Nachfrage. Und die Wettbewerbsdominanz des Unternehmens - Nvidia besitzt immer noch einen geschätzten Marktanteil von 80 % bei Grafikprozessoren (GPUs) - deutete darauf hin, dass das Unternehmen von dieser Nachfrage profitieren könnte und auch würde.

Und so wurde NVDA in einem Sektor mit für gewöhnlich komprimierten Multiplikatoren oft mit dem 40-fachen der erwarteten Gewinne oder mehr gehandelt. Im November, als NVDA ein Allzeithoch erreichte, wurden die Aktien mit mehr als dem 70-fachen des Gewinns für das Geschäftsjahr 2022 (Ende Januar) bewertet.

Dann schlug aber der Zyklus zu.

h2 Nvidia steht vor schwierigen Zeiten/h2

Wie sich herausstellte, gehörte Nvidia zu den großen Pandemiegewinnern. Da die Ausgaben für Unterhaltung außer Haus in den Jahren 2020 und 2021 aufgrund der Gesundheitskrise und den damit einhergehenden Lockdowns zwangsläufig zurückgingen, gaben viele Verbraucher stattdessen Geld für High-End-Gaming-Systeme mit Nvidia-Karten aus. Engpässe in der Lieferkette führten zu höheren Preisen und zugleich zu besseren Gewinnspannen.

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Mit der Rückkehr zur Normalität ist aber auch die Nachfrage drastisch zurückgegangen. Erschwerend kam eine Flut von gebrauchten GPUs von Ethereum-Minern hinzu, als die Blockchain der Kryptowährung Ether vom Proof-of-Work- auf das energieeffizientere Proof-of-Stake-Verfahren überging.

Diese Ursache ist aus historischer Sicht zwar sehr ungewöhnlich, aber die Auswirkungen ähneln denen der Halbleiterzyklen in der Vergangenheit. Die Preise fallen zusammen mit der Nachfrage, was die Gewinnmargen von Nvidia schmälert. Im 2. Quartal verlangsamte sich das Umsatzwachstum von Nvidia auf nur 3 % im Jahresvergleich. Die Bruttogewinnmargen fielen jedoch selbst auf bereinigter Basis um 20,8 Prozentpunkte auf 45,9 %. Der bereinigte Betriebsgewinn fiel sogar um mehr als die Hälfte.

Für das 3. Quartal sieht es noch düsterer aus. Nvidia erwartet einen Umsatzrückgang von etwa 17 % im Vergleich zum Vorjahresquartal. Die Bruttomargen werden sich voraussichtlich in dem Maße erholen, wie Nvidia die Auslieferungen verlangsamt, anstatt Produkte durch Preisnachlässe zu verkaufen. Dennoch gehen die Prognosen von einem Rückgang des Betriebsgewinns um 40 % im Vergleich zum Vorjahr aus.

Das Problem beschränkt sich auch nicht unbedingt nur auf zwei Quartale. Der Abbau der Lagerbestände, ob gebraucht oder neu, erfordert eine gewisse Zeit. Zudem könnte der makroökonomische Druck die Nachfrage weiter schmälern. (NASDAQ:AMD) ist ein echter Konkurrent im Bereich der Grafikprozessoren, wie er es vor einigen Jahren noch nicht war, und könnte sich entschließen, ungebremst weiter zu produzieren, um nun weitere Marktanteile zu erobern.

Im Idealfall übersteht Nvidia diese schwierige Phase und kehrt zum Wachstum zurück. Darauf setzt die Wall Street: Die Konsensschätzung für den Gewinn je Aktie für das Geschäftsjahr 2024 entspricht in etwa den Ergebnissen des Geschäftsjahres 2022, eine Garantie für eine nachhaltige Erholung gibt es jedoch nicht.

h2 Ein Blick in die Vergangenheit/h2

Das gilt vor allem deshalb, weil die Ergebnisse für das Geschäftsjahr 2021 und 2022 im Nachhinein so aussehen, als hätte Nvidia in einem äußerst günstigen Umfeld schlicht zu viel verdient. Es gab zwar Probleme mit der Lieferkette, aber ansonsten war die Nachfrage so hoch wie nie zuvor. Es wurden Rechenzentren in rasantem Tempo errichtet, die Verbraucher hatten dank der Stimulus-Schecks plötzlich Geld im Überfluss und die Nachfrage nach Kryptowährungen boomte.

So wie der Zyklus heute wirkt, so wirkte er auch damals. Das wiederum erklärt zumindest in gewissem Maße das schnelle Wachstum des Unternehmens in den letzten Jahren. Das soll natürlich nicht heißen, dass Nvidia nichts richtig gemacht hat oder dass die enorm beeindruckende Leistung - der Umsatz stieg zwischen dem Geschäftsjahr 2020 und dem Geschäftsjahr 2022 innerhalb von nur zwei Jahren um 147 % - ausschließlich auf externe Faktoren zurückzuführen ist. Dennoch haben diese äußeren Faktoren in gewissem Maße die Performance enorm begünstigt.

Vor diesem Hintergrund erscheint die NVDA-Aktie selbst nach einem Kurseinbruch um 68 % nicht gerade günstig. Es handelt sich eben um eine zyklische Aktie, die immer noch mit dem 25-fachen ihres Höchstgewinns gehandelt wird. Selbst wenn man langfristige Wachstumschancen annimmt, ist dies keine Aktie, die nach "Ich bin billig" schreit.