Stockstreet GmbH | 10.06.2021 09:06
Im Hinblick auf die heutige Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) über ihr weiteres Vorgehen in Sachen Geldpolitik wird es auch sehr spannend, wie sie die Entwicklung der Ölpreise einschätzt. Denn die US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) hat Anfang Juni das bisherige Trendhoch vom 8. März bei 68,21 US-Dollar überwunden und befindet sich nun mit mehr als 70 US-Dollar auf einem Preisniveau, welches zuletzt am 8. Januar 2020 gezahlt werden musste.
Heute wird die EZB neue Projektionen ihrer Ökonomen vorlegen. Neben den Prognosen zum Arbeitsmarkt, dem Wirtschaftswachstum und der Inflation, werden dabei auch aktualisierte Annahmen zur Ölpreisentwicklung veröffentlicht.
h2 EZB lag meilenweit daneben/h2Und hierzu möchte ich aus aktuellem Anlass an die bisherigen Annahmen aus der Sitzung vom 11. März erinnern, über die ich am selben Tag auch in der Börse-Intern berichtet hatte (siehe „EZB stemmt sich gegen steigende Anleiherenditen“):
„Für 2021 geht die EZB von Ölpreisen in Höhe von 59,3 Dollar aus. Über dann 55,7 Dollar in 2022 sollen diese bis 2023 auf 53,7 Dollar sinken“, hieß es dazu in der damaligen Börse-Intern. Zu dieser Zeit stand der Preis der Ölsorte WTI aber bei rund 65 Dollar. Und der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte tags zuvor bei einer Pressekonferenz mit seinem Kollegen aus Saudi-Arabien erklärt, „der gegenwärtige Preis spiegele mehr oder weniger das Gleichgewicht zwischen Anbietern und Konsumenten wider“, wie es auch in der Börse-Intern zu lesen war. Es war also absehbar, dass die Annahmen des EZB-Mitarbeiterstabs zu niedrig sein würden.
Die EZB-Volkswirte gingen davon aus, dass die Inflation im letzten Quartal 2021 einen Höchststand von 2,0 % erreichen wird. Inzwischen wissen wir, dass dieses Niveau bereits im Mai erreicht wurde (siehe auch Börse-Intern vom Mittwoch vergangener Woche):
Es steht also außer Frage, dass die EZB heute deutlich höhere Inflationsdaten zu Grunde legen wird und muss.
h2 EZB wagt einen gefährlichen Spagat/h2Dass die EZB wohl sehr bewusst „tiefgestapelt“ hat, begründete ich März damit, dass die Währungshüter vermutlich die Inflationserwartungen nicht weiter anheizen wollen. Das ist auch durchaus legitim. Aber die Notenbank riskiert damit natürlich, an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Und womöglich zweifelt man irgendwann sogar die Kompetenz an. Die EZB versucht also derzeit einen gefährlichen Spagat.
h2 Ölpreise könnten bald wieder deutlich zurückkommen/h2Am Ende könnte die Zentralbank aber Glück haben, dass die Ölpreise wieder deutlich sinken und sich der aktuelle und absehbar fortsetzende Anstieg der Inflation damit tatsächlich noch als vorrübergehend herausstellt, wie es die Notenbanken immer wieder propagiert haben. Denn aus Sicht der Elliott-Wellen kann man die Ölpreise derzeit in einer Welle 5 sehen (siehe blaue Ziffern im Chart der Ölsorte WTI):
Man sieht hier seit dem Corona-Crash drei starke Kursanstiege (Wellen 1, 3 und 5), unterbrochen von zwei deutlichen Rücksetzern (Wellen 2 und 4). Wie weit die Welle 5 noch laufen wird, ist schwer zu prognostizieren. Womöglich endet diese dort, wo der Ölpreis auch zwischen April 2019 und Januar 2020 drei Mal ein Hoch markiert hat (roter Bereich). Und wenn die Ölpreise dann wieder nachgeben, könnten sie wieder in den „Wohlfühlbereich“ von rund 60 US-Dollar zurückfallen (roter Pfeil).
Ölpreise oberhalb von den 55,7 bzw. 53,7 Dollar, welche die EZB für 2022 bzw. 2023 erwartet, sind jedenfalls deutlich realistischer. Denn der Ölpreis hat sich in der Vergangenheit im Wesentlichen in Handelsspannen oberhalb von 56 Dollar aufgehalten (siehe gelbe Rechtecke).
Und das dürfte sich auch heute in den aktuellen Projektionen der EZB widerspiegeln. Es wird spannend, wie der Markt darauf reagieren wird. Jubelstürme sind sicherlich weniger wahrscheinlich als leicht nervöse Anleger. Agieren Sie daher entsprechend vorsichtig.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus
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