Stephan Heibel | 07.06.2021 13:56
Natürlich sind neue Allzeithochs gut für die Stimmung. Und natürlich führt ein Ausbruch nach oben aus einer Handelsspanne, die für einige Wochen galt, ebenfalls zu guter Laune unter den Anlegern. So dürfte unsere Sentimenterhebung aktuell eher dahingehend zu untersuchen sein, ob bereits Überschwang und Euphorie zu messen sind.
Die überraschende Antwort lautet: Nein, ganz und gar nicht. Das Anlegersentiment ist nur leicht auf 2,1 angestiegen (Vorwoche 1,6). Erst ab Werten über 4 sprechen wir von Euphorie, doch davon sind wir noch weit entfernt.
Die Selbstgefälligkeit ist sogar auf 1,0 zurückgegangen (Vorwoche 1,3). Das lässt vermuten, dass eine Reihe von Anlegern nicht in dem Umfang von den steigenden Kursen profitieren, wie es die Indizes vermuten lassen. Entweder sind sie zu wenig investiert, oder in den falschen Titeln.
Die Zukunftserwartung hat sich mit einem Wert von 0,7 gegenüber der Vorwoche nicht verändert und bleibt verhältnismäßig neutral. Bullen haben leicht die Oberhand, doch vor dem Hintergrund der guten Stimmung und noch besseren Konjunkturaussichten wäre auch ein größerer Optimismus keine Überraschung gewesen. Im Gegenteil, es überrascht, dass Anleger offensichtlich keine nennenswerte Fortsetzung der Rallye mehr erwarten.
Und entsprechend bleibt auch die Investitionsbereitschaft mit einem Wert von -0,2 (Vorwoche +0,3) extrem niedrig. Nur selten rutscht die Investitionsbereitschaft ins Minus, es scheinen sich große Vorbehalte gegenüber einer Fortsetzung der Rallye zu formieren.
Das Euwax-Sentiment der Privatanleger ist letzte Woche drastisch abgerutscht und notiert nun wieder bei -4. Privatanleger kaufen offensichtlich Absicherungsprodukte, um für einen Kursrutsch gewappnet zu sein und die erzielten Buchgewinne abzusichern.
Das Put/Call-Verhältnis der CBOE hat sich nach vielen Wochen auf extrem niedrigem Niveau nun in der zweiten Woche in Folge weiter erholt und zeigt somit an, dass US-Anleger ebenfalls ihre exzessiven Long-Spekulationen zurückfahren. Um eine wirkliche Absicherungsneigung gegen Kursverluste aus diesem Indikator abzulesen, müsste das Put/Call-Verhältnis allerdings noch ein wenig weiter steigen.
US-Fondsanleger haben ihre Investitionsquote wieder weiter hochgefahren und landen nach einem Wert von 44% vor drei Wochen inzwischen wieder bei 82%. Ich werte dies als Normalisierung, nachdem die Cashquote aufgrund der zu erfolgenden Steuerzahlungen vor drei Wochen hochgefahren wurde.
Das Bulle/Bär-Verhältnis der US-Privatanleger liegt bei 24% und zeigt einen wieder ansteigenden Überhang der Bullen. Dieser Wert passt nicht so recht in die Stimmungswerte, die wir bis hierhin ablesen konnten. Es ist zu überlegen, ob die Massen der WallStreetBets hier einen Einfluss haben.
Oder vielleicht ist es die normale Reaktion der Privatanleger auf die vielen Allzeithochs, die vorletzte Woche erzielt wurden. 41,1% der Privatanleger sind bullisch gestimmt. Wir haben somit mehr als doppelt so viele Bullen wie Bären (19,8%).
Der technische Angst und Gier Indikator des S&P 500 zeigt mit einem Wert von 46% eine neutrale Verfassung am US-Aktienmarkt. Der wesentlich stärker oszillierende Short Range Oszillator notiert mit 3 jedoch bereits nah an der Marke 4, die einen überkauften Markt anzeigt.
h5 Interpretation/h5 h5 /h5 h5 Vor zwei Wochen haben wir den Sentimentdaten entnommen, dass eine Reihe von Anlegern vermutlich noch zu stark in den Aktien der Corona-Gewinner investiert sind: Wachstumsaktien und Technologieaktien, mit denen im Jahr 2020 große Gewinne erzielt wurden, und die seit Februar der Entwicklung am Gesamtmarkt eher hinterher hinken.
Mit dieser Interpretation können wir auch die auf den ersten Blick widersprüchliche Stimmung letzter Woche erklären: Die Allzeithochs in Deutschland, wie auch in den USA, werden nicht durch TeamViewer (DE:TMV) (-4,5%) und Zoom Video (NASDAQ:ZM) erzielt, sondern durch Ceconomy (OTC:MTTRY) (Saturn & Media Markt, +9%) und BMW (DE:BMWG) (+8%).
So ist auch die geringe Selbstzufriedenheit trotz einem Allzeithoch im DAX nach dem anderen zu erklären. Und daran, dass Industrieaktien die Wirtschaft, geschweige denn den Aktienmarkt anführen könnten, glaubt nach 20 Jahren Technologiedominaz kaum noch jemand. Daher ist auch die Investitionsbereitschaft so gering.
Ehrlich gesagt: Eigentlich ist diese Skepsis, die ich auf dieser Stimmungslage ablese, hilfreich für eine Fortsetzung der Rallye. Nachdem wir einige Wochen eine Seitwärtsbewegung im DAX gesehen haben, hat sich nun eine neue Richtung gezeigt. Diese neue Richtung kann durchaus Bestand haben, wenn Anleger sukzessive ihre Corona-Gewinner verkaufen und das Kapital in unterbewertete Nach-Corona-Gewinner umschichten.
Die Sommerwochen stehen an, bei heißen Temperaturen und vor dem Hintergrund der bereits erzielten Kursgewinne ist zu erwarten, dass das Handelsvolumen in den kommenden Wochen deutlich dünner ausfallen wird. Heftige Schwankungen sind damit leichter möglich, nicht jedoch neue Richtungen. Jetzt kommt also die Zeit, in der wir unser Portfolio in aller Ruhe auf die neuen Gegebenheiten umstellen können.
Starke Kursgewinne in Corona-Gewinnern könnten zum Verkauf, während Rückschläge bei den konjunktursensiblen Industrieaktien zum Einstieg genutzt werden könnten.
In meinem Börsenbrief veröffentliche ich regelmäßig Hintergründe der Börse und Blicke hinter die Kulissen der Finanzwelt. Meine Leser treffen dadurch noch bessere eigene Entscheidungen zur Entwicklung ihres Vermögens./h5
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