Herr und Hündchen in der Corona-Krise

 | 31.03.2020 09:23

Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

regelmäßige Leser der Börse-Intern kennen schon André Kostolanys Vergleich von Herr und Hündchen mit Wirtschaft und Börse. Nach dem jüngsten Crash bemühen sich Ökonomen und Analysten die Folgen der Corona-Krise für beide in Zahlen zu fassen.

h3 Eine undankbare Aufgabe/h3

Das ist eine undankbare Aufgabe. Niemals zuvor stand die Welt vor einem solchen Problem, das quasi eine Vollbremsung der Wirtschaft auslöste – und das auch noch weltweit zur gleichen Zeit. Als wäre das nicht schon schlimm genug, gibt es auch noch überhaupt keine Grundlage, um seriös ein Ende der Pandemie abzuschätzen. Zwar werden längst „Ausstiegsszenarien“ diskutiert, aber bisher fällt kaum jemandem mehr ein, als zu sagen: Lockern wir einfach mal die Einschränkungen und schauen, was geschieht. Das aber wäre ein Vabanquespiel, das unter Umständen noch mehr Schaden anrichtet.

Aber von solchen und anderen Randbedingungen hängt ab, wie stark die wohl unvermeidliche Rezession ausfällt. Ökonomen arbeiten daher mit Szenarien. Im Wesentlichen gibt es drei mögliche Varianten: Eine schnelle Erholung, die in den Daten wie ein „V“ erscheint – ähnliche der typischen V-Erholung bei Kursen, wenn es mit denen zwar schnell abwärts-, aber auch (fast) ebenso schnell wieder aufwärtsgeht (z.B. nach dem Einbruch von Ende 2018). Diese Variante heißt daher auch V-Szenario.

Dauert die Erholung etwas länger, weil die Werte eine Zeitlang im Keller bleiben und dort erst einen Boden bilden, spricht man in einer analogen bildlichen Betrachtung von einem U-Szenario. Das Schlimmste ist das L-Szenario, in dem die Erholung lange auf sich warten lässt.

h3 Was passiert eigentlich in und nach einer Quarantäne?/h3

Mit den Zahlen für diese Varianten, mit denen die Ökonomen derzeit jonglieren, will ich Sie gar nicht erst langweilen – sie ändern sich zum Teil im Wochenrhythmus oder stehen von vornherein unter allen möglichen Vorbehalten. Das kann auch gar nicht anders sein (und ist daher keine Kritik).

Schließlich kann niemand abschätzen, welche Bereiche der Wirtschaft wie stark zusammenbrechen. Gut, Autos und Häuser werden nicht mehr gebaut und die meisten Geschäfte sind geschlossen. Aber bestellen sich die Leute dann viele Sachen einfach im Internet, essen sie mehr (Frust-Essen) oder weniger (weil ihnen die Quarantäne auf den Magen schlägt) oder steigt eventuell der Alkoholkonsum (Wer Sorgen hat, hat auch Likör)?

Und wie wirken sich die Alternativen aus, die manche Firmen finden? McDonald’s-Mitarbeiter helfen z.B. bei Aldi aus, Bosch baut Corona-Testgeräte, Textilhersteller produzieren Schutzmasken. Mitarbeiter von Flugunternehmen sollen in provisorischen Krankenhäusern helfen. Und im Hintergrund arbeiten viele Biotech- und Pharmafirmen mit doppeltem Eifer an Impfstoffen und anderen Mitteln, um die Pandemie schneller in den Griff zu kriegen.

Jetzt die App holen
Werden Sie Teil der größten Finanz-Community der Welt
Downloaden

Ebenso unsicher sind die Folgen nach der Lockerung der Einschränkungen. Werden sich die Menschen tatsächlich wieder so unbekümmert wie früher für einen Wochenend-Städtetrip dicht gedrängt ins Flugzeug quetschen, auf Tuchfühlung ins Theater setzen oder ins Gewühl voller Einkaufszentren stürzen? Oder werden sie sich damit zumindest solange zurückhalten, bis Impfstoffe oder andere Gegenmittel verfügbar sind? Dann könnten einige Branchen womöglich noch jahrelang darben – schließlich rechnen Experten nicht vor Mitte nächsten Jahres mit einem Impfstoff, dessen Produktion, Verteilung und Einsatz an Milliarden Menschen dann vermutlich nochmal einige Monate dauern wird.

h3 Ökonomen, Analysten und Unternehmen im Blindflug/h3

Die Analysten, die Branchen und Unternehmen direkt beobachten, sind auch nicht schlauer – woher auch? Die Informationen aus den Unternehmen zeigen auch nur, was nicht mehr läuft und welche Alternativen es eventuell gibt. Aber wann man wieder zum Normalbetrieb zurückkehren kann und wie lange es dann dauert, bis zusammengebrochene Lieferketten wieder funktionieren? Niemand weiß es.

In der Finanzkrise wurde der Ausdruck „Auf Sicht fahren“ zum geflügelten Wort in den Vorstandsetagen. Ich wette, dass wir ihn auch in der bevorstehenden Quartalsberichtssaison wieder vielfach hören und lesen werden. Aber das ist eine glatte Verharmlosung. Die Fahrt findet in einer Nebelwand statt, in der man nicht die Hand vor Augen sieht. Von „Sicht“ kann also keine Rede sein – in Wahrheit befinden sich Ökonomen, Analysten, Unternehmen und Anleger im Blindflug.

Was ist die Quintessenz daraus: Verlassen Sie sich nicht auf Zahlen von Ökonomen oder Analysten. Auch die Prognosen der Unternehmen dürften nur sehr kurze Halbwertzeiten haben – im Guten oder Schlechten. Ich erwarte zudem, dass kaum ein Unternehmen konkrete Angaben dazu macht.

h3 Herr und Hündchen im Chart/h3

Und damit kommen wir zum eingangs erwähnten Vergleich von André Kostolany. Man kann das Bild, das er damit zeichnet – dass die Börse der Wirtschaft mal vorauseilt, mal hinterherhinkt, wie das Hündchen an der Leine seines Herrchens – tatsächlich sehr anschaulich darstellen.