Wenn die Briten wählen - Schicksalswahl für Europa

 | 06.05.2015 07:35

Während sich Europäer für das britische Königshaus und seinen royalen Nachwuchs - It’s a girl - brennend interessieren, hielt sich deren Leidenschaft für Wahlen im Vereinigten Königreich bislang in engen Grenzen. Ist ja auch kein Wunder, sind doch die Unterschiede zwischen den konservativen Tories und der „Arbeiterpartei“ Labour seit der Ära Tony Blair sehr gering geworden.

Doch jetzt bei der Unterhauswahl am 7. Mai kommt Dramatik ins Spiel: Sollten die Tories, in welcher Regierungskoalition auch immer, die Wahl gewinnen, wird es nach dem Willen ihres Parteichefs, Premierminister David Cameron, bis Ende 2017 eine Abstimmung über den Verbleib oder den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union geben. Dem guten David geht es dabei weniger um rationale Beweggründe, sondern eher um Populismus: Er will wiedergewählt werden. Und dazu sollen die Wahlschäfchen, die in Scharen zur Europa-kritischen Partei UKIP wegzulaufen drohten, wieder ins Gehege der Tories zurückgeführt werden.

Bei seiner Wiederwahl wird David die Geister, die er rief, nicht mehr los: Die Volksabstimmung muss er tatsächlich abhalten. Dann gäbe es bis zum Referendum zwei lange Jahre der (wirtschafts-)politischen Verunsicherung. Es geht nicht darum, Mitglied oder Nicht-Mitglied in einem Kegelverein zu sein, sondern um die Mitgliedschaft im kaufkräftigsten Binnenmarkt der Welt. Bis zum Abstimmungsergebnis werden sich fehlerfrei bis drei zählende Anleger mit neuen Investitionen zurückhalten. Ähnlich wie bei der Abstimmung über die Ablösung Schottlands vom Vereinigten Königreich kämen Aktien, Anleihen und das Pfund unter Druck, dieses Mal allerdings länger und intensiver.

Sollten die Briten mehrheitlich mit „Verbleib“ votiert haben, hätte Nr. 10 Downing Street die britische Wirtschaft zwei Jahre unverantwortlich und selbstverschuldet kasteit. Nach seinem dann unvermeidlichen Rücktritt hätte der gute David immerhin viel Zeit für die schönen Dinge des Lebens: Cricket und Golf. Ob sein Abschied ein Verlust wäre, darüber schweigt des Kolumnenschreibers Höflichkeit.

Der Brexit ist (wirtschafts-)politischer Selbstmord

Sollten sich die Briten tatsächlich die Isolation auf ihrer Insel abseits der EU wünschen, würde Großbritannien zur Insel der Verdammten. Denn wirtschaftlich verlöre das Land sein wichtigstes Standbein: Die Finanzindustrie. Die verbleibenden Trümpfe Royaler Kitsch und Keksindustrie könnten diese Lücke niemals schließen. Man hätte sich selbst den Ast abgesägt, auf dem man sitzt. Ohne den Finanzplatz London wäre das British Empire auch wirtschaftlich „gone“. Absurderweise ist London sogar ein Euro-Profiteur. Denn obwohl die großen Briten diese Währung ablehnen wie Veganer saftige Steaks, wird er vor allem dort gehandelt. Bei einem Brexit würden immer mehr Finanzplätze wie Frankfurt für die finanzpolitische Musik in Europa verantwortlich sein.

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London wäre für Banken, Versicherungen und die Immobilienwirtschaft nicht mehr ein Paradies ähnlich wie der Markusplatz in Venedig für Tauben. Vielmehr würde es höllisch mit der Konsequenz, dass die Finanzindustrie London "Good Bye" sagt und nach Irland und Schottland auswandert. Schottland deswegen, weil die Schotten deutlich Europa-freundlicher als die Engländer sind. In diesem Szenario könnte es zügig zu einer neuen Abstimmung der „Scottish Bravehearts“ über die Abspaltung vom Empire kommen, die ein anderes Ergebnis als 2014 zu Tage fördern würde. Der Brexit führte direkt zum „Sexit“ der Schotten. Aus Great Britain wäre Little Britain geworden. Aus dem Löwen würde ein Schmusetiger. Gut, dass dies Churchill und Thatcher nicht mehr mitbekommen müssten.

Immerhin, selbst Normalsterbliche könnten sich dann Häuser in London leisten. Aber wollte man dort bei Wirtschaftsmisere und hoher Arbeitslosigkeit überhaupt wohnen wollen?

Dass die Briten beim Gedanken an Europa nicht unbedingt in Entzücken geraten, ist uns allen spätestens seit Margaret Thatcher klar. Aber dass man dieser sturen Ablehnung zuliebe auch jede wirtschaftliche Vernunft über Bord wirft, wäre für die ansonsten kühl-rationalen Briten neu. Mal schauen, wie sich die Briten zwischen Nationalstolz und Vernunft entscheiden.

Ohne Großbritannien wird die EU zum sozialistischen Gesundbeterstaat

Wenn sich die Briten verabschieden, droht ein gefährlicher Domino-Effekt in der EU und der Eurozone. Ein Brexit und ein anschließender Sexit wären Wasser auf die Mühlen von Madame Le Pen. Sie könnte vor dem Hintergrund der französischen Präsidentenwahlen 2017 auch einen „Frexit“ der Franzosen aus der Eurozone betreiben. Dagegen wäre der Grexit ein Kindergeburtstag.

Wie wollen wir denn gegenüber den USA, China, Russland oder generell gegen die Schwellenländer anstinken, wenn der Chorgeist der EU dem einer zerstrittenen, verhandlungsunfähigen Erbengemeinschaft entspricht? Wie wollen wir verhindern, in punkto Freihandelsabkommen mit den USA oder später mit China überfahren zu werden? Die europäische Stimme droht in allen geo-, wirtschafts-, finanz- und industriepolitischen Belangen auf eine Lautstärke reduziert zu werden, die der tatsächlichen geographischen Größe Europas entspricht. Gestern noch ein stolzer europäischer Stier und heute ein eingeschüchterter Ochse.

Insbesondere uns Deutschen täte der Brexit richtig weh. Uns würde ein Verbündeter in punkto stabiler Staatshaushalte, Wettbewerbsfähigkeit, Reformbereitschaft und nicht zuletzt wirtschaftlicher Freiheit abhandenkommen. Die „Gutmenschen“ in einigen Euro-Ländern, die Anhänger einer notenbankfinanzierten Schuldenpolitik sind, hätten - obwohl historisch immer wieder gescheitert - endlich freie Bahn, ihr staatswirtschaftliches Schlaraffenland aufzubauen. Die Eurozone würde von der Stabilitäts- zur Schuldengläubigkeit konvertieren und sich damit langsam aber sicher das eigene Wirtschaftsgrab schaufeln. Der Verlust Großbritanniens, das immer für eine liberale Wirtschaftsordnung eingetreten ist, könnte das gesellschaftspolitische Gleichgewicht in Europa zwischen Markt und Staat zu sehr Richtung sozialistischer Gesundbetung ausschlagen lassen.

Liebe Briten, lasst den Kelch des Brexit an uns Deutschen bitte vorübergehen!

Natürlich, in der EU ist einiges so krumm und schief, dass dagegen der schiefe Turm von Pisa ein Musterbeispiel an senkrechter Geradlinigkeit ist. Aber liebe Briten, bei der Weiterentwicklung der EU und der Eurozone zu eben mehr Markt und weniger Staat könnt Ihr sehr gerne mithelfen. Dazu müsst Ihr allerdings dabei bleiben. Dann müsst Ihr zwar einige Integrations-Kröten schlucken. Aber diese Nachteile werden von den wirtschaftlichen Vorteilen aufgewogen. Wer will schon in von Armut geprägter Isolationshaft auf der Insel leben?

Selbst wenn ihr nicht die feinste Küche und sehr viel schlechtes Wetter habt, Europa braucht Euch. Aber Ihr braucht uns auch. Lasst uns zumindest eine gute Zweckehe eingehen, spätere Liebe muss ja nicht ausgeschlossen sein. Let’s stay together!

Übrigens, bleibt Ihr in der EU, kommt das auch Eurem Aktienmarkt zugute. Denn dieser hinkt seit der Brexit-Diskussion gegenüber dem deutschen nicht nur zurück, nein, der fährt bereits im Rollstuhl.

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