Graphit – ein heimlicher Aufstiegskandidat rückt ins Rampenlicht

 | 26.12.2020 20:05

Kolumne von Florian Munsch am 23. Dezember 2020 

Während Rohstoff-Investoren ihre Chancen oftmals traditionell bei Edelmetallen, Basismetallen oder bei Tech-Materialien wie Lithium oder Vanadium suchen, beschränkt sich die Beziehung zum Graphit bei den meisten wohl auf die Verwendung von Bleistiften. Das ist schade und könnte sich mittelfristig als verpasste Chance erweisen. Denn: Ohne Graphit gerieten sowohl die Stahlindustrie als auch Energiewendekonzepte in ernsthafte Schwierigkeiten. Möglicherweise läuft Graphit derzeit unter dem Radar, weil es weder spektakuläre Kursbewegungen noch dramatische Versorgungsengpässe gibt – noch. Denn vor allem sinkende Exporte aus Fernost und wachsende Nachfrage an Spezialprodukten könnten mittelfristig zu einer Trendwende führen. Wohl dem Rohstoffinvestor, der sich dann schon mit der Materie auskennt.

h2 Mehr als Bleistift-Minen: Vielseitiger Einsatz von Graphit/h2

Zugegeben – Graphit scheint als solches kein besonders spektakuläres Material zu sein. Es handelt sich – neben Diamanten und Fullerenen (das ist eine kuriose Spielart in Gestalt von Einzelmolekülen) – um eine gediegene Erscheinungsform von reinem Kohlenstoff, ein auf der Erde vergleichsweise häufig vorkommendes sogenanntes Halbmetall. Man findet es in Form von Körnern und Flocken in durch natürlichen Druck oder Hitze verändertem Gestein oder als Adern beziehungsweise Mineralgemenge in Clustern.

Die erste Nutzung von Graphit durch Menschen reicht in graue Vorzeit zurück: Frühe Künstler verwendeten das abriebfähige Material für Höhlenzeichnungen. Noch heute benutzen wir Graphit in Bleistiften zu demselben Zweck. Auch die Feuerfestigkeit entdeckten unsere Vorfahren recht schnell, wie archäologische Funde von mit Graphit präparierten Töpferwaren belegen. Erst sehr viel später, im Industriezeitalter, rückten weitere attraktive Materialeigenschaften in den Vordergrund. Graphit ist säurebeständig und besitzt eine nahezu metallische Leitfähigkeit.

Eben diese Konduktivität ist es, die Graphit heute zu einem der wichtigsten Rohstoffe für Energiespeichermedien macht – und wenn heutzutage die Rede von Batterien ist, denkt man sofort an große grüne Themen wie die Elektromobilität oder Öko-Strom, der zwischengespeichert werden muss. Die Batterieindustrie ist ein Technik- und Wirtschaftsbereich, der rasant expandiert und einen hohen Bedarf an Graphitmaterial hat, welches für Anoden (das ist der „Minuspol“ einer Batterie) genutzt werden kann.

Genau hier wird Graphit zu einem Rohstoff, der Investoren aufhorchen lassen sollte. Denn: Auch wenn Graphit ein häufiges Element ist, kann es nicht so ohne Weiteres Bestandteil einer Batterie werden. Ein Energiespeicher ist eben etwas anderes als ein Bleistift. Die Batterieindustrie benötigt tatsächlich eine sehr spezifische Varietät, nämlich z.B. hochreines Flockengraphit, aus dem sogenanntes „Kugelgraphit“ hergestellt werden kann. Und was das betrifft, sieht es mit der Rohstoffversorgung schon komplizierter aus. Für solche technischen Zwecke geeignetes Batterie-Graphit ist rar. Der steigende weltweite Bedarf macht die Suche nach ergiebigen Projekten und Herstellern nicht einfacher.

h2 Graphit ist nicht gleich Graphit/h2
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Bei Graphit handelt es sich um einen Stoff, der in der Natur in unterschiedlichen Qualitäten und Strukturen vorkommt, die sich jeweils für spezifische Einsatzzwecke eignen. So wird amorpher Graphit vor allem bei industriellen Anwendungen wie in Stahlwerken oder Gießereien eingesetzt, wobei primär seine Hitzebeständigkeit gefragt ist. Die elektrischen Eigenschaften hingegen liefert Flockengraphit, ein mikrokristalliner Naturgraphit.

Flockengraphit macht aktuell den größten Anteil an gehandelten Graphitprodukten aus; 2018 betrug der Anteil am Gesamtmarkt 86,1 Prozent (das entspricht einem Gegenwert von 1.103,9 Millionen USD). Es gibt Qualitätsunterschiede, die sich beispielsweise in der Größe (zum Beispiel ultrafein mit einer Körnung von nur wenigen Mikrometern oder große Jumbo-Flocken) oder dem Verhältnis von Asche- und Kohlenstoffgehalt des Produktes manifestieren. Letzteres schwankt für konventionelle Verwendungszwecke je nach Qualität gewöhnlich zwischen 80 und 98 Prozent. Batterien und andere technische Anwendungen – etwa die Reaktortechnik – benötigen einen Reinheitsgehalt von mindestens 99,97 Prozent. Top-Produkte mit mehr als 99-prozentiger Reinheit für diese Spezialmarktsegmente sind entsprechend begehrt.

Hochreines Flockengraphit wird auf dem Absatzmarkt mit bis zu fünffachen Aufpreisen gegenüber amorphem Industriegraphit gehandelt. So kann einen Tonne Graphit mit 99-prozentiger Reinheit aktuell Preise von bis zu 13.000 USD erreichen. Größere Flocken erzielen – einen hohen Reinheitsgrad vorausgesetzt – noch höhere Endpreise. Für Batteriezwecke wird Kugelgraphit aus Graphitkonzentrat hergestellt. Dessen aufwendige technische Herstellung bedingt abermals einen Preisaufschlag.

Die Kriterien, die ein Graphitprodukt erfüllen muss, um für technische Anwendungen wie eben Akkumulatoren brauchbar zu sein, sind also vielschichtig und werden durch komplizierte Produktionsverfahren sichergestellt. Graphitproduzenten, die zugleich über die technischen Möglichkeiten verfügen, ihr Produkt auch gleich selbst dem Kundenbedarf entsprechend aufzubereiten, haben damit einen deutlichen Marktvorteil.

h2 Angebot, Nachfrage – und die Kurse/h2

Die Graphitpreise haben in der Vergangenheit etwas geschwächelt: Seit 2014 verzeichnete der Markt ein jährlich konstant rückläufiges Wachstum, ein Trend, der sich interessanterweise auf alle Sparten des Produktes auswirkte. Die Hauptgründe für diese Entwicklung lagen in einem allgemeinen Rückgang der Nachfrage nach Stahlprodukten und einem Abflauen der chinesischen Wirtschaftslage. Seit einigen Wochen sind nun aber auch wieder positive Signale zu spüren: Neue Impulse kurbeln die Industrie und damit den Bedarf wieder an.

Der weltweite Verbrauch an Graphit lag 2018 bei 947.000 Tonnen, dem gegenüber stand eine Produktion von 1,64 Millionen Tonnen (bezogen auf sämtliche Varianten von Graphit). Die verringerte Nachfrage der Stahlindustrie hatte den erhöhten Graphitbedarf der technischen Abnehmer zu einem gewissen Grad ausgleichen können. Schwingen sich nun aber beide Industriezweige wieder zum Wachstum auf, könnte der Wettbewerb um das Material härter werden, sobald bestehende Überschüsse aufgebraucht sind. Bei großflockigem Graphit ist die Produktion schon jetzt rückläufig, was die Preise für das begehrte Industriematerial ebenfalls etwas ankurbelt.

h2 Chinesisches Graphit dominiert den Weltmarkt/h2

Die Volksrepublik China ist der weltweit bedeutendste Produzent von Graphit; beim begehrten Flockengraphit liegt der Marktanteil sogar bei 80 Prozent. Laut einer Studie der Deutschen Rohstoff-Agentur sorgte China im Jahr 2018 für ganze 76 Prozent der weltweiten Gesamtproduktion. Zum Vergleich: Europäische Produzenten trugen nur zwei, die übrige Welt 22 Prozent zum globalen Output bei. Allerdings ist die Graphitproduktion in China leicht rückläufig; Grund hierfür sind unter anderem Minenschließungen, die infolge strengerer Umweltgesetze nötig wurden. Folgerichtig sinken die chinesischen Exporte ein wenig, da das Material zunächst den Eigenbedarf der Inlandsindustrie decken muss.

Nichtsdestotrotz hat die marktbeherrschende Position auf der Produzentenseite eine gewisse Brisanz: China kontrolliert faktisch einen Großteil des verfügbaren Materials, was zu einer Abhängigkeit aller ausländischen Abnehmer führt. Reißt die Versorgung aus dem Reich der Mitte aus irgendeinem Grund ab, stehen ganze Wirtschaftszweige vor einem akuten Beschaffungsproblem. Kein Wunder, dass Graphit zunehmend als kritischer Rohstoff gilt.

h2 Status: Kritisch – Graphit für die Westliche Welt/h2

2020 haben die USA Graphit zum kritischen Rohstoff erklärt (in der Europäischen Union ist es das schon seit 2017). Als „kritisch“ definiert werden jene Bodenschätze, die Bedeutung für wirtschaftliche Schlüsselsektoren haben, einem hohen Angebotsrisiko unterliegen und die sich nicht durch Ersatzstoffe substituieren lassen. In den USA wie auch der EU stehen neben Graphit auch weitere wichtige Batteriematerialien wie Vanadium, Kobalt und Lithium auf der Liste der heiklen Bodenschätze. Eine Verknappung von Graphit hätte gravierende Folgen für die Industrie und die Entwicklung innovativer Energielösungen. Das wäre ein Szenario, dem sich insbesondere die USA nicht aussetzen mögen. Allerdings: Es gibt in den Vereinigten Staaten keine Graphitminen, die Material in der von der Batterieindustrie benötigten Qualität herstellen können. Die USA sind für die Versorgung mit Graphitanoden vollständig auf Importe angewiesen. Doch die Nachbarn im Norden können aushelfen.

h2 Die USA und die nordamerikanische Graphit-Allianz/h2

An Graphit besteht in Kanada wie auch in Nordamerika eine große Nachfrage, aber eine sensible Versorgungslage. Der zukünftige US-Präsident Biden hatte schon im Vorfeld der Wahlen im November der US-Bergbauindustrie signalisiert, dass die Branche mit seiner Unterstützung für die Produktionssteigerung der Rohstoffe rechnen könnte, die für grüne Energielösungen wie Sonnenkollektoren oder Elektromobilität benötigt werden.

Es ist bekannt, dass Maßnahmen für den Klimaschutz für Biden einen großen politischen Stellenwert einnehmen. So unterstützt er parteiübergreifende Bemühungen zur Förderung einer inländischen Lieferkette für strategische Materialien wie Graphit, Lithium, Kupfer, Nickel und Seltene Erden, die die USA derzeit mehrheitlich aus China und anderen Ländern importieren. Biden kündigte an, über einen Zeitraum von zehn Jahren 400 Milliarden US-Dollar zur umfassenden Mobilisierung in saubere Energie und Innovation zu investieren. Ein wichtiger Bestandteil seiner Strategie sollen strenge Standards zu Kraftstoffverbrauch und Emissionsfreiheit insbesondere bei Neuwagen sein: Die Elektromobilitätgenießt genießt daher (ebenso wie Stromspeicherlösungen für die Energieversorgung) hohe Priorität.

Bereits unter dem scheidenden Präsidenten Trump war eine Präsidentenverfügung erlassen worden, sich auf die Etablierung nordamerikanischer Produzenten für Batteriemetalle zu konzentrieren, um sich von der Abhängigkeit von ausländischen Erzeugern zu lösen.

In Kanada hatte man sich im Herbst auf die Schaffung einer inländischen Mineralien- und Batterie-Wertschöpfungskette verständigt und darauf, die Verbindungen zu den US- und internationalen Partnern weiter zu verfolgen. Zwischen Kanada und den USA existiert ein Abkommen über eine Versorgungsstrategie; in Sachen Bergbau und grüne Energie besteht ein breiter Konsens zwischen beiden Nationen.

h2 Nachfragesteigerung für die grüne Energiewende/h2

Wohin geht es also für Graphit? Eine Zukunftsprognose fällt in diesem Fall leicht: Weltweit wird sich künftig der Bedarf im Vergleich zu anderen Rohstoffen im Hinblick auf die Energiewende bedeutend erhöhen. Während Experten des United States Geological Survey (einer Behörde des US-Innenministeriums) und der World Bank Basismetallen wie Kupfer oder Eisen bis 2050 eine einstellige Zuwachsrate präsumieren, sollte sich im selben Zeitraum der Bedarf an Graphit um gigantische 494 Prozent steigern und damit sogar das Potenzial anderer wichtiger Batteriematerialien, nämlich Kobalt, Vanadium und Lithium überholen.