Euro-Crash: "Spiegel" gibt den bösen Spekulanten die Schuld

 | 17.07.2022 22:14

Der Euro ist kürzlich zwischenzeitlich unter die Parität zum Dollar gefallen und setzt damit seinen seit Monaten anhaltenden Sinkflug weiter fort – in vielen Medien aber wird nun der Versuch gemacht, diesen Niedergang klein zu reden und auf die vermeintlich bösen Spekulanten zu schieben, wie es etwa Thomas Fricke in einem Spiegel-Artikel tut.h2 Wie der „Spiegel“ den Absturz des Euro auf vermeintlich böse Spekulanten schiebt/h2

Der Artikel von Thomas Fricke trägt den seltsamen Namen „Die seltsame Aufregung um den scheinschwachen Euro“ – und geht derart an der Realität vorbei, dass sich ein genauerer Blick lohnt. Zumal irgendwann die Schuld-Frage gestellt werden wird, die dann lauten dürfte: wer hat das Schlamassel des kollabierenden Euro verursacht?

Fricke liefert hierfür schon einmal die perfekte Steilvorlage: die bösen Spekulanten seien es gewesen, denn am Devisenmarkt gehe es „skandalös“ zu. Über den Fall es Euro unter die Parität schreibt Fricke:

Das Schein-Event sagt mehr darüber, wie wenig das Devisencasino mit dem zu tun hat, was wirtschaftlich sinnvoll wäre, als über den Euro per se – auch wenn unsere eifrigen Eurogegner das mal wieder als Beleg für die gescheiterte Währungsunion umzudeuten versuchen.

Und Thomas Fricke weiter:

„Nach gängigem Verständnis sind Währungen der Abwertung geweiht, wenn es im betreffenden Land (oder Währungsraum) ein hohes Außenhandelsdefizit gibt – oder höhere Inflation als bei den anderen.“ (..)

„Realitätscheck für die aktuelle Lage: beides Fehlanzeige. Im Euroraum werden seit Jahren Überschüsse im Export-Import-Geschäft erwirtschaftet. Und die Inflation lag über Jahre niedriger als gerade in den USA oder Großbritannien. Was selbst jetzt der Fall ist – Briten und Amerikaner haben aktuell eine höhere Inflation als etwa die Deutschen. Der Euro müsste demnach eher aufwerten als abwerten“.

Beginnen wir gleich einmal mit dem ersten Punkt: den Überschüssen der Eurozone im Handel mit anderen Nationen. Jahrelang hatten die Eurozone als auch die EU einen Handelsbilanzüberschuß – aber damit ist jetzt Schluß, wie Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat für den Zeitraum Januar bis Mai 2022 zeigen:

„Im Zeitraum Januar-Mai 2022 stiegen die Warenausfuhren des Euroraums in die restliche Welt auf 1 140,2 Mrd. EUR (ein Anstieg von 18,4% gegenüber Januar-Mai 2021) und die Einfuhren auf 1 253,2 Mrd. EUR (ein Anstieg von 42,5% gegenüber Januar-Mai 2021). Infolgedessen verzeichnete der Euroraum ein Defizit von 113,0 Mrd. EUR, gegenüber einem Überschuss von 83,7 Mrd. EUR im Zeitraum Januar-Mai 2021.“

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Thomas Fricke unterschlägt also, dass aus dem Handelsbilanzüberschuß nun ein Defizit geworden ist – das gilt auch für Europas stärkste Wirtschaft Deutschland, das erstmals seit dem Jahr 1991 ein Handelsbilanzdefizit verbuchte. Der Grund liegt auf der Hand: die Energie-Krise. Statt billiges Gas und Öl aus Russland müssen viele Staaten Europas, vor allem aber Deutschland, ihrer Energie viel teurer aus Ländern wie den USA und Norwegen beziehen – es handelt sich dabei vor allem um teures Flüssiggas (so stiegen etwa die im Zeitraum Januar bis Mai die Importe der EU aus Norwegen um +156% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum).

Mit anderen Worten: das Geschäftsmodell nicht nur Deutschlands als wirtschaftlicher Motor der Eurozone droht zu scheitern : es basierte auf dem Import billiger Energie und dem Export hochpreisiger Produkte ins globalisierte Ausland. Das ist nun vorbei – daher kippt die Handelsbilanz ins Negative. Und genau das ist ein wichtiger Faktor für die Schwäche des Euro – denn der vermeintlich böse Devisenmarkt preist diese Entwicklung natürlich ein und straft die Gemeinschaftswährung dafür ab. In den Jahren zuvor hingegen war die positive Handelsbilanz der Eurozone durchaus ein stützender Faktor für den Euro gewesen – aber damit ist nun wohl auf absehbare Zeit Schluß.

h4 Inflation und Zinsen – warum der Euro abwertet/h4

Frickes Argumentation im „Spiegel“ ignoriert also den negativen Trend der Handelsbilanz in der Eurozone – weswegen der weniger informierte Leser seine Argumentation glaubhaft finden kann und sich daher über den Niedergang des Euro wundert.

Noch wichtiger aber für den Fall des Euro ist das Thema Zinsen – denn die Fed hebt die Zinsen stark an (zuletzt mit zwei großen Schritten auf nun 1,75%), während die EZB demnächst einen Zins-Schritt von 0,25% machen will – bei aktuellem Zinssatz von 0% und Einlagezinsen bei -0,5%. Gleichzeitig kauft die Notenbank weiter Anleihen und kippt damit weiter Liquidität ins inflationäre Umfeld. Die Fed also hebt die Zinsen an und reduziert, konträr zur EZB, ihre Bilanzsumme. Mit andern Worten: die Fed macht angesichts der Inflation eine Art Vollbremsung der Geldpolitik, während die EZB nach wie vor auf dem Gaspedal steht – und höchstens etwas Gas weg nimmt statt wirklich ernsthaft zu bremsen.

Umso befremdlicher erscheinen daher die folgenden Aussagen von Thomas Fricke im einst so renommierten „Spiegel“:

„Der Haken ist, dass es im Devisencasino doch nur bedingt um solche Fundamentaldaten geht – und der Korrekturmechanismus daher aussetzt. Wie Auswertungen seit Jahren ergeben, dominiert im Handel mit den Währungen immer wieder schlicht und einfach ein ganz kurzfristiges Argument: die Frage, wo man gerade die höheren Zinsen bekommt. Da lässt sich im schnellen Handel schnell Geld verdienen.“

Professionelle Investoren suchen naturgemäß Renditen – etwa Pensionskassen, die die Altersvorsorge ihrer Kunden sicher stellen müssen. Nachdem jahrelang der Zins durch die Notenbanken faktisch abgeschafft war, gibt es nun endlich wieder Zinsen. Wer als Investor im Auftrag seiner Kunden auf höhrere Zinsen verzichtet, handelt daher gewissermaßen Mandats-widrig.

Aber Herr Fricke vom einst renommierten „Spiegel“ moralisiert lieber, statt sich auf solche Fakten zu stützen: es gehe um das „schnelle Geld„, um „Bereicherung“ weswegen man letztlich den freien Währungsmarkt gleich am Besten abschaffen sollte:

„Wenn all das für Aufregung sorgen sollte, dann eher darüber, was da ein paar Investoren täglich an Spiel treiben – und an schneller Bereicherung. Und wie wenig das immer wieder zu dem passt, was wirtschaftlich sinnvoll wäre. Dann wäre die Frage eher, was eines Tages mal an die Stelle eines so nur sehr bedingt sinnvollen Systems treten sollte. Und ob dann nicht die Zeit gekommen wäre, auch die Währungskurse wieder stärker zu kontrollieren. So wie das in der Nachkriegszeit mit dem Bretton-Woods-System fester, aber politisch anpassbarer Kurse der Fall war. Dann ließe sich im Devisencasino im Zweifel zwar kein Geld mehr verdienen. Aber es wäre für den Rest der Menschheit besser.“

Abschaffung der freien Märkte, Kontrolle der Märkte im Sinne des politisch Gewünschten – nichts anderes schlägt Thoomas Fricke hier im Namen des „Spiegel“ vor. Dabei waren es doch die Abschaffung der Zinsen durch die Notenbanken, die die Märkte zu einem Casino haben werden lassen – mit der Wiedereinführung der Zinsen werden hingegen endlich wieder Risiken bepreisbar (der Zins ist ein Meßinstrument für Risko).

Genau das aber will die EZB nicht: wie Thomas Fricke scheut sie freie Märkte, weil dann eben diese freien Märkte deutlich höhere Zinsen verlangen für hoch verschuldete Staaten mit begrenzt solider Haushaltspolitik als für Staaten mit weniger Schulden und soliderer Haushaltspolitik. Genau gegen diese „Fragmentierung“ will die EZB nun vorgehen und die Anleihen der Problemstaaten kaufen. Dieser erneute Eingriff ist – neben der Weigerung einer der Inflation angemessenen Geldpolitik – der nächste Grund für die Schwäche des Euro. Denn die EZB verschlechtert damit ihre Bilanzqualität: sie verkauft Anleihen von Bonitäts-starken Ländern und kauft dafür Anleihen Bonitäts-schwacher Länder.

h4 Fazit – der Fall des Euro macht Sinn/h4

Der Fall des Euro macht in vielerlei Hinsicht Sinn und hat daher nichts mit dem vermeintlich bösen Devisenmarkt zu tun, wie der „Spiegel“ nun mit dem Artikel Frickes verbreitet. Hier kompakt noch einmal die zentralen Gründe:

1. Die starken Unterschiede in der Geldpolitik zwischen US-Notenbank Fed und EZB

2. Die Energie-Krise der Eurozone zerstört ihr Geschäftsmodell, die Handelsbilanz wird negativ, was den Euro schwächt – während die USA weitgehend Energie-autark sind

3. Die zunehmende politische Labilität der Eurozone: Frankreich ist in Lager gespalten – extrem Linke und extrem Rechte nehmen zu bei schwindender Mitte; in Italien ist die Regierung von Mario Draghi am Ende (die erste Regierung in Europa, die an der Energie-Krise scheitert )

4. In der Eurozone wartet die sogenannte „Pipeline-Inflation“: die Erzeugerpreise in der Eurozone liegen bei +36,3%, in den USA hingegen nur bei +11,3%. Bedeutet: der Inflations-Druck in der Eurozone ist absehhbar höher als in den USA – und das bei einer Notenbank, die viel weniger gegen diese Inflation vorgeht als die US-Notenbank

Die Verbreitung falscher Narrative und moralischer Urteile, die mit der Sachlage nicht übereinstimmt, ist eine gefährliche Sache. Dass der „Spiegel“ sich daür hergibt, ist Zeichen seines eigenen Niedergangs. Dass man daher beim „Spiegel“ den Niedergang des Euro ebenso klein zu reden versucht wie den eigenen Niedergang, ist vielleicht verständlich. Aber wer eine bessere Zukunft will, sollte die Probleme der Gegenwart beim Namen nennen, statt davon abzulenken.

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