Stockstreet GmbH | 22.07.2020 09:40
Die Aktienmärkte haben gestern noch mal einen ordentlichen Satz nach oben gemacht, allen voran die Indizes der Eurozone. Als klaren Impulsgeber kann man die gestern am frühen Morgen (MESZ) getroffene Einigung der EU-Staaten auf den Wiederaufbaufonds sowie den Haushalt für die kommenden Jahre ausmachen. Schließlich handelt es sich dabei um das größte Haushalts- und Finanzpaket der EU-Geschichte, das in einem mehr als vier Tage dauernden Verhandlungsmarathon geschnürt wurde und sich auf insgesamt rund 1,8 Billionen Euro beläuft.
Davon sind 1.074 Milliarden Euro für den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen und 750 Milliarden Euro für das Konjunktur- und Investitionsprogramm gegen die Folgen der Pandemiekrise vorgesehen. Das EU-Parlament und auch die nationalen Parlamente müssen dem Kompromiss allerdings noch zustimmen, bevor er in Kraft treten kann und die Gelder fließen. Das kann sich noch einige Wochen oder gar Monate hinziehen. Zumal das EU-Parlament gestern bereits den Bedarf an Nachverhandlungen angemeldet hat.
Mit einem Scheitern der Verhandlungen hatte im Vorfeld kaum jemand gerechnet, weshalb die Einigung bereits zu einem Großteil in den Kursen eingepreist gewesen sein dürfte. Und daher sollte man damit rechnen, dass der aktuelle Freudensprung der Aktienmärkte nun womöglich die letzte Phase der aktuellen Aufwärtsbewegung eingeleitet hat. Denn häufig enden Trends mit einer finalen, steilen Impulsbewegung.
Und mit Blick auf den DAX zeigt sich, dass der deutsche Leitindex gestern mit einer steilen Impulsbewegung nach oben aus seinem vermeintlichen Bear-Keil (blaue Linien im folgenden Chart) ausbrechen konnte. Ein Ausbruch nach unten, der aus dieser Formation eigentlich zu erwarten war und der womöglich eine deutlich bearishe Wirkung entfaltet hätte, konnte so verhindert werden.
Allerdings sah der Chart des DAX nur bis gestern Mittag so bullish aus. Inzwischen hat es wieder einen Rücksetzer gegeben, der den Index zurück in die Keilformation hat fallen lassen.
War der steile Anstieg von gestern Vormittag womöglich bereits das Finale der Aufwärtstrendbewegung? Und folgen auf den Fehlausbruch nun bearishe Konsequenzen? Das bleibt natürlich noch abzuwarten. Aber denkbar wäre es, dass eine erneute Korrekturbewegung lediglich aufgeschoben wurde. Denn wir befinden uns kurz vor der saisonal schwachen Phase eines Börsenjahres.
Diese Grafik zeigt, dass der DAX seit 1988 im August und September in den meisten Jahren nachgab. Im Durchschnitt verlor der Index dabei im August 2,24 % und im September 2,06 %. Und beim Blick auf den durchschnittlichen Kursverlauf (siehe folgender Chart) zeigt sich auch, dass der DAX tatsächlich häufig noch einmal dynamisch zulegen kann, bevor er in eine Korrektur geht.
Diese typische Herbst-Korrektur macht auch in diesem Jahr Sinn, weil sich aktuell abzeichnet, dass Joe Biden als Konkurrent im US-Wahlkampf den amtierenden Präsidenten Donald Trump schlagen könnte. Und den Eckpunkten des Wahlprogramms von Biden kann man entnehmen, dass er Unternehmen höher besteuern möchte. Das ist natürlich Gift für die Aktienmärkte. Und je mehr sich der Fokus der Märkte auf die Wahl in den USA richtet, desto mehr könnte ein möglicher Wahlsieg Bidens die Aktienkurse belasten.
Das gilt übrigens insbesondere für die Aktien US-amerikanischer Unternehmen. Denn diese würden im internationalen Wettkampf um Kunden und Investoren bei einer höheren Besteuerung tendenziell Verluste erleiden. Und auch deshalb hat der Euro zum US-Dollar womöglich jüngst deutlich zulegen können. Und wohl auch deshalb zeigt sich der DAX derzeit stärker als der Dow Jones. Es sind also schon Tendenzen der aus dem US-Wahlkampf erwarteten Marktbewegungen erkennbar. Warten Sie also nicht zu lange, bis Sie Ihr Depot für die typische Herbst-Korrektur „wetterfest“ machen.
Wobei es zu beachten gilt, dass sich die Korrektur in Wahljahren häufig nach hinten verschiebt.
Der aktuelle Aufwärtsimpuls könnte die Aktienmärkte also noch eine Weile nach oben treiben. Sollte sich aber abzeichnen, dass dieser finale Impuls ausläuft oder mit der gestrigen Wende bereits ausgelaufen ist und die Märkte nachhaltig Schwäche zeigen, ist es Zeit, auch die letzten Schäfchen ins Trockene zu bringen – sprich: Gewinne mitzunehmen.
Für den DAX heißt das konkret, dass man aktuell sehr vorsichtig werden sollte, wenn der Index auch noch unter das Hoch vom 8. Juni zurückfällt. Solange dies aber nicht passiert, hat der Index zunächst sogar noch die Chance, sein Allzeithoch zu erreichen. Dazu muss er aber noch die Rechteckgrenze bei 13.300 Punkten überwinden, die ihm gestern nach dem starken Handelsauftakt (siehe grüner Kreis im folgenden Chart) das Leben schwer gemacht hat und ein Grund für die Intraday-Wende ist.
Und dann wäre da auch noch eine Konsolidierungslinie (rot gestrichelt), an der es gerne zu Kursrücksetzern kommt. Vielleicht ist sie es, die den DAX vor oder nach Erreichen des Allzeithochs wieder nach unten zieht und ihn zwingt, die Aufwärtstrendlinien (grün und blau) zu brechen und so in die saisonale und charttechnisch überfällige Korrektur zu gehen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Trading
Ihr
Sven Weisenhaus
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