Eine Katastrophe für die Weltwirtschaft? Die Folgen der brasilianischen Wahl

 | 01.11.2022 09:27

  • Die Rückkehr des Linkspolitikers Lula in das höchste brasilianische Amt vervollständigt den 2018 in Mexiko eingeläuteten politischen Richtungswechsel in der Region
  • Lula zufolge ist sein Land, das immerhin der drittgrößte Lebensmittelexporteur der Welt ist, "nicht an der Rolle des ewigen Rohstoff-Exporteurs interessiert"
  • Dennoch hat Brasilien im Zuge des Ukraine-Krieges eine immer wichtigere Rolle bei der globalen Nahrungsmittelversorgung übernommen - und das mit großem Erfolg
  • In der knappsten Stichwahl, die Brasilien je erlebt hat, kehrte der linke Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva nach 13 Jahren an die Macht zurück. Bei der Stichwahl am Sonntag entfielen 50,8 % der Stimmen auf ihn. Nach 13 Jahren ohne politisches Amt kehrt Lula also an die Macht zurück. Als erster demokratisch gewählter brasilianischer Präsident bleibt Jair Bolsonaro somit ohne eine zweite Amtszeit. Noch hat er seine Niederlage nicht öffentlich eingeräumt.

    In seiner Siegesrede am Sonntag in einem Hotel in Brasiliens größter Stadt Sao Paulo sprach der 77-jährige Lula, der bereits wegen Korruption und Geldwäsche im Gefängnis saß, von der Wiedervereinigung eines tief gespaltenen Landes und sagte, dass "es nur ein Brasilien gibt" - ein netter Gedanke, aber ein schier unmögliches Unterfangen, wenn man bedenkt, dass Lula im Kongress, im Senat und in den Bundesstaaten auf erbitterten Widerstand stoßen wird.

    Der politische Kurswechsel in Brasilien ist der jüngste und bedeutendste in Lateinamerika in den letzten Jahren. Er vervollständigt eine breite regionale Verschiebung hin zu einer linksnationalen Politik, die Lateinamerika seit dem Amtsantritt von Andrés Manuel López Obrador als Präsident von Mexiko Ende 2018 im Sturm erobert hat.

    Für eine umfassende Bewertung der Konsequenzen aus Lulas Wahl ist es zwar noch zu früh, aber es gibt einige unmittelbare Folgen, die für die Weltwirtschaft von Bedeutung sind.

    h2 Nahrungsmittel/h2

    Brasilien ist derzeit der drittgrößte Nahrungsmittelproduzent der Welt. Das lateinamerikanische hat vor kurzem sogar die USA als weltweit führenden Rindfleischexporteur abgelöst und ist nach wie vor der größte Exporteur von Kaffee und Sojabohnen.

    Angesichts der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten globalen Getreideknappheit, der extremen Dürre in Europa und der ungewöhnlichen Regenfälle in Indien und China entwickelt sich das südamerikanische Land zu einer der besten Kurzfristlösungen für das wachsende Problem der Ernährungssicherheit.

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    In seiner Rede am Sonntag sagte Lula jedoch, Brasilien sei "nicht an der Rolle des ewigen Rohstoff-Exporteurs interessiert". Dabei sicherte er den kleinen und mittelgroßen Erzeugern in den ländlichen Gebieten absolute Priorität zu. Immerhin sorgen sie für den größten Teil der Nahrungsmittelversorgung in seinem Land.

    Seine Aussagen lassen ein Abrücken von Bolsonaros exportorientierter Agrarpolitik erkennen, die dem Land aufgrund steigender Weltmarktpreise zwei Jahre lang Rekordausfuhren beschert hat.

    Eine Umgestaltung der brasilianischen Agrarpolitik dürfte sich negativ auf die globale Nahrungsmittelversorgung auswirken und möglicherweise zu höheren Markt- und Verbraucherpreisen führen.

    Im Gegensatz zu den USA, Europa und China - die den Höhepunkt ihres landwirtschaftlichen Schaffens bereits erreicht haben - hat Brasilien seine Anbauflächen während der Regierungszeit Bolsonaros exponentiell vergrößert. Daraus resultieren wiederum ökologische Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die Abholzung der Wälder im Amazonasgebiet.

    Wie der Präsident und CEO von AgResource mit Sitz in Chicago, Dan Basse, in einem Interview sagte: "Wir schätzen, dass die Welt in den nächsten fünf Jahren weitere 25 Millionen Hektar Ackerland benötigt, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Die meisten dieser Flächen werden aus Südamerika kommen müssen".

    h2 Petrobras/h2

    Obwohl Lula nichts Konkretes zu den Staatskonzernen wie Petroleo Brasileiro Petrobras (NYSE:PBR) (BVMF:PETR3) oder Eletrobras (BVMF:LIPR3) gesagt hat, deutet sein politischer Kurs darauf hin, dass die Regierung wahrscheinlich eine größere Entscheidungsgewalt in diesen Unternehmen anstrebt. 

    "Die neue Regierung hat die Art und Weise, wie Petrobras gesteuert wird, offen kritisiert und auch mögliche Veränderungen im Unternehmen diskutiert", zitierte Bloomberg das Analystenteam von JPMorgan Chase & Co (NYSE:JPM). unter der Leitung von Rodolfo Angele, das seine Einstufung für die Petrobras-Aktie von "Overweight" auf "Neutral" herabgesetzt hat. "Die wichtigsten Änderungen dürften die Kapitalallokation und die Preispolitik für im Inland verkaufte Kraftstoffe betreffen."

    Während seiner früheren Regierung kontrollierte der Präsident die Inflation des Landes durch Maßnahmen zur Preisdeckelung bei beiden Unternehmen, was zu einer Überschuldung ihrer Bilanzen und langfristig zu mäßigen Aktienrenditen führte.

    Auch ein gewaltiger Korruptionsskandal, der sowohl die Regierungen von Lula als auch die seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff erschütterte, erschütterte Petrobras.

    Das änderte sich während der Präsidentschaft von Michel Temer im Jahr 2016, als der damalige Präsident erklärte, das Unternehmen solle seine immense Rohölproduktion zu Preisen auf dem Niveau der US-amerikanischen Benchmark WTI verkaufen.

    Die Liberalisierung des Unternehmens wurde unter Bolsonaro fortgesetzt, was sich in einer deutlichen Verringerung des staatlichen Eigentums an Stammaktien und dem Verkauf zahlreicher Erdölförderlizenzen an private ausländische und brasilianische Unternehmen äußerte.

    In diesem Zeitraum konnte das Unternehmen seine operativen Margen verbessern und seine Barreserven erhöhen, was zu einem Anstieg der Aktie um rund 130 % führte. Petrobras erhöhte außerdem seine Dividendenrendite auf fast 35 %.