Philip Hopf | 14.02.2022 16:22
Für den renditeorientierten Anleger ist es lediglich ein lästiges Thema, für Visionäre am Finanzmarkt ein essenzieller Aspekt: Corporate Governance. Im engsten Sinne beschreibt Corporate Governance die Grundsätze der (guten) Unternehmensführung, wozu gerade im Umfeld börsennotierter Unternehmen die Komposition von Vorstand und Aufsichtsrat gehört, aber auch Themen, wie zum Beispiel Kapitalerhöhungen, Gewinnabführungsmaßnahmen, Auszahlung von Dividenden und Veröffentlichung von Unternehmensinformationen, sind zentrale Dinge, die unter den Schirm dieses Begriffs fallen. Während bei einigen der Stimmzettel direkt im Mülleimer landet, füllen andere diesen gewissenhaft aus. Gerade institutionelle Anleger legen immer mehr Wert auf Corporate Governance, denn im Rahmen der Stimmrechtsausübung können große Investoren nicht unwesentlich die Strategie der Emittenten mitbestimmen.
Über die letzten Jahre gewann das Thema zunehmend an Bedeutung, da institutionelle Investoren immer klarere Vorstellungen guter Unternehmen haben und auch nicht-finanzielle Faktoren immer stärker in den Vordergrund rücken. Man lässt also Unternehmen nicht mehr „einfach mal machen“, sondern ist hier ernsthaft an einem Dialog interessiert. Gerade auch weil große Investoren Zugriff auf große Mengen an Daten haben, die akademisch ausgewertet werden, können sie auch empirische Argumente für ihre Ansprüche vorbringen, die beispielsweise diversere Vorstände und unabhängigere Aufsichtsräte umfassen – Stichwort: Wirecard (DE:WDIG). Nun hat es sich aber in der Corona-Pandemie so verhalten, dass zu Beginn nahezu alle Großveranstaltungen verboten wurden und auch die deutsche Börsenlandschaft konnte die Hauptversammlungssaison 2020 nicht planmäßig abhalten. Die Hauptversammlungen wurden reihenweise verschoben, bis man mehr Klarheit über den Umgang mit der Pandemie erlangen konnte. Dies geschah, wie wir jetzt wissen, nicht.
Stattdessen wurden die Hauptversammlungen online abgehalten und nicht, wie gewohnt, in großen Konferenz- oder Messesälen. Als zusätzlichen Tagesordnungspunkt nahmen viele Emittenten dann direkt diesen Aspekt auf und baten für Zustimmung, um auch künftig Hauptversammlungen digital abhalten zu dürfen. Da man dies zur damaligen Zeit reine Vorsichtsmaßnahme zur Überbrückung solcher Ausnahmesituationen ansah, nickten viele deutsche börsennotierte Unternehmen auch diesen Punkt ab. Letzten Mittwoch wurde nun ein Gesetzesentwurf für das Aktiengesetz vorgestellt, indem die Möglichkeit digitaler Hauptversammlungen rechtlich verankert werden würde. Damit würden sich Emittenten die Möglichkeit auftun, dieses Format beizubehalten – sehr zum Nachteil der Aktionäre. Diese müssen im Rahmen des angedachten Gesetzes etwaige Fragen und Stellungnahmen aus organisatorischen Gründen bis maximal vier Tage vor der Hauptversammlung einreichen, sodass es im Plenum nicht mehr zu einem Dialog zwischen Emittent und Anleger kommen würde.
Angesichts der Tatsache, dass die Hauptversammlung das zentrale Element der Ausübung des Aktionärsrechts ist, ist dieser Gesetzesentwurf ein Rückschlag für die Corporate Governance, die sich ja in den letzten Jahren so gut entwickelt hatte. Zwar argumentiert das Justizministerium, dass dieses digitale Format der Hauptversammlungen gut angenommen wurde, liefert hier aber keine empirischen Beweise und stellt es auch nicht in den Kontext möglicher zukünftiger Entwicklungen. Problematisch ist dieses Format allemal, denn während den Unternehmenspräsentationen werden sicherlich immer Fragen aufkommen, die dann nicht mehr gestellt werden können. Die Beantwortung der Frage verschiebt sich somit direkt um ein Jahr auf die nächste Hauptversammlung. Zwar ist das ein großer Fortschritt für die Emittenten, die nun einfacher lästigen Fragen der Anleger ausweichen können, aber im Sinne der guten Unternehmensführung und der Ausübung des Aktionärsrechts ist dies ganz bestimmt nicht.
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