Sven Weisenhaus | 16.04.2020 10:21
Die Berichtssaison in den USA hat begonnen. Und schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Erwartungen zu hoch waren und wohl auch noch zu hoch sind, obwohl Analysten ihre Gewinnschätzungen in den letzten Wochen schon stark reduziert haben.
So wurden die Aktien der US-Banken auf den Markt geworfen, nachdem diese ihre Bilanzen vorgelegt haben. Und angesichts der folgenden Zahlen scheint dies auf den ersten Blick auch eine logische Konsequenz. Denn der Gewinn von Citigroup Inc (NYSE:C), Bank of America Corp (NYSE:BAC) und Goldman Sachs Group Inc (NYSE:GS)hat sich wegen drohender Kreditausfälle und gestiegener Kosten jeweils halbiert. Noch schlimmer sieht es bei JPMorgan (NYSE:JPM) und bei Wells Fargo & Company (NYSE:WFC) aus, die über einen Ergebnisrückgang von gut zwei Dritteln bzw. sogar um fast 90 % berichten mussten.
Insgesamt erwarten Analysten für das 1. Quartal 2020 aktuell einen Gewinnrückgang im S&P 500 von -12,3 %. Dieser soll sich im 2. Quartal 2020 sogar noch auf -20,0 % erhöhen, bevor es im 3. Quartal mit nur noch -8,5 % und im 4. Quartal mit lediglich noch -0,9 % nicht mehr ganz so schlimm werden soll. Für das Gesamtjahr würde dies einen Gewinnrückgang um -8,5 % bedeuten.
Im Dezember 2019 lagen die Gewinnerwartungen für das laufende Jahr bei +9,68 %, am 14. Februar 2020 immerhin noch bei +8,3 % (siehe "Kursanstiege der Aktienindizes sind nicht ausreichend begründet "). Für das 1. Quartal 2020 lagen die Erwartungen beim Gewinn Mitte Februar noch bei +2,5 %.
Die Erwartungen dürften aber im Laufe der kommenden Wochen wohl noch weiter nach unten geschraubt werden. Denn einerseits ist dies ein übliches Vorgehen der Analysten und andererseits haben aktuelle Daten bereits gezeigt, dass die Erwartungen noch zu hoch sind.
Wie die US-Notenbank heute zum Beispiel mitgeteilt hat, wurde die Produktion in der US-Industrie im März wegen der Coronavirus-Krise so stark gedrosselt wie seit 1946 nicht mehr. Die Betriebe stellten 6,3 % weniger her als im Vormonat. Von Reuters befragte Ökonomen hatten dagegen nur mit einem halb so starken Rückgang von 3,2 % gerechnet.
Die Industrie steuert etwa 11 % zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA bei. Und daher ist es noch dramatischer, dass der Einzelhandelsumsatz in den USA im Monat März, der nur zu einem Teil von den Krisenmaßnahmen der US-Regierung betroffen war, sogar mit 8,7 % den stärksten Rückgang seit Beginn der Statistik 1992 erlitt.
Denn der private Konsum steuert ganze zwei Drittel zum US-BIP bei. Von Reuters befragte Ökonomen waren immerhin von einem Minus von 8 % ausgegangen, doch auch dieser Wert war noch zu optimistisch.
Selbst Experten scheinen die Dimension der aktuellen Krise noch nicht so recht fassen zu können. Obwohl die Prognosen schon recht schwarz gemalt wurden, scheint sich Realität dennoch ein Stück düsterer zu sein. Dass die wirtschaftliche Lage noch schlimmer ist als in der Finanzkrise 2008/09, zeichnete sich längst ab. Ich hatte dazu auch bereits über diverse Rekorde berichtet, die in der aktuellen Krise schon aufgestellt wurden. Und nun der nächste:
Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet inzwischen mit der schlimmsten Rezession seit der Großen Depression in den 1930er Jahren. Und daher hat er seine Schätzungen für die Weltwirtschaft innerhalb weniger Monate so stark gesenkt wie nie zuvor. 2020 soll sie um 3,0 % schrumpfen. Im Januar war der Fonds noch von einem Wachstum von 3,3 % ausgegangen. Zum Vergleich: In der Finanzkrise 2008/09 hatte die Weltwirtschaft in etwa stagniert.
Für das BIP der USA erwartet der IWF 2020 ein Minus von 5,9 %. Die Wirtschaft der Euro-Zone dürfte um 7,5 % schrumpfen, Deutschlands Wirtschaftsleistung um 7,0 %. Die chinesische Wirtschaft soll in diesem Jahr immerhin noch wachsen, allerdings nur noch um 1,2 %, nach noch mehr als 6 % in den vergangenen Jahren. Von Januar bis März soll die Wirtschaftsleistung Chinas allerdings um 6,5 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eingebrochen sein.
JPMorgan prophezeit für 2020 einen weltweiten Gewinnrückgang um 70 %. Und selbst nach einer anschließenden Erholung werden die Überschüsse 2021 etwa 20 % hinter dem Niveau von 2019 zurückbleiben, so JPMorgan. Da erscheint der erwartete Gewinnrückgang für die US-Unternehmen aus dem S&P 500 von „nur“ 8,5 % in diesem Jahr in der Tat noch etwas zu optimistisch.
Und vor diesem Hintergrund scheint auch die aktuelle Kurserholung ausgereizt. Schließlich stand der S&P 500 zum Beispiel vorgestern im Hoch bei 2.851,85 Punkten schon nur noch weniger als 16 % unter seinem Allzeithoch (3.393,52), weil der Index seinen Einbruch schon um mehr als 50 % wettmachen konnte.
Bedenkt man, dass die Gewinne im laufenden Jahr voraussichtlich um mehr als 8,5 % sinken (siehe dunkle Linie im folgenden Chart) und der S&P 500 (helle Linie) im Allzeithoch fundamental deutlich überbewertet war, dann erscheint das aktuelle Kursniveau schon wieder recht ambitioniert und " ", ähnlich wie Mitte Februar.
Vielleicht sollte man davon ausgehen, dass im S&P 500 vorgestern eine ABC-Kurserholung ihr Hoch erreicht hat (so wie im Chart oben mit den grünen Elliott-Wellen dargestellt). Vielleicht ist aber auch nur die Welle 3 einer 5-gliedrigen Aufwärtsbewegung zu Ende gegangen. In beiden Fällen ist aber zumindest mit einem Rücksetzer zu rechnen.
Sowohl fundamental als auch charttechnisch wäre ich also inzwischen wieder deutlich vorsichtiger und würde durchaus auch wieder kleine Short-Trades wagen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Sven Weisenhaus
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