Die Causa Wirecard und das Ende des Realismus!

 | 26.06.2020 19:47

Die sich schließende Handelswoche, wird wohl als historisches Ereignis in die Annalen der deutschen Börsengeschichte eingehen. Nachdem bereits in der Vorwoche die Aktie des deutschen DAX Konzerns Wirecard (DE:WDIG), massiv unter die Räder gekommen war., folgte diese Woche der totale und gut möglich auch der endgültige Ausverkauf des Titels. 

Wir erleben hier in Summe nichts einzigartiges, allerdings ist es in dieser Form wohl für den deutschen Aktienmarkt ein bislang einmaliges Ereignis, welches viele unrühmliche Vorbilder besitzt. Kannte man in Deutschland als vergleichbaren Skandal lediglich "Big Manni" mit seinem Unternehmen Flow Tex und vielleicht noch den Börsengang von MHP. So waren hier auf dem internationalen Parkett schon ganz andere Kaliber unterwegs. 

Dazu müssen wir einmal in die frühen 2000er Jahre zurückblicken, als die beiden US Unternehmen Enron und Worldcom, mit massiven Bilanzbetrügereien, die Finanzwelt schockierten. Während es bei Enron nur um eine Aufblähung der Bilanz von etwa $600 Millionen über vier Jahre ging, gaben sich die Jungs von Worldcom mit solchen Peanuts, wie Copperfield sie wahrscheinlich genannt hätte, nicht zufrieden und schöpften bei einem Volumen von $3.9 Milliarden so richtig aus dem vollem bei den Luftbuchungen.

Wohlgemerkt fand dies binnen eines Bilanzjahres statt. In beiden Fällen will der damalige Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen nichts von diesen Vorgängen gewusst haben. Diese hat es am Ende genauso zerlegt, wie die Unternehmen selbst. Rettung für alle Beteiligten Fehlanzeige. 

Wir stellen also fest, dies ist alles nichts Neues und die Summen auch nicht. Wie kann es aber zu solchen Skandalen überhaupt kommen? Wer hat hier versagt, oder auch einfach gerne mal weggeschaut?

Man muss an erster Stelle einmal festhalten, die Alarmsignale bei Wirecard, gingen nicht erst letzte Woche los. In der Vergangenheit gab es immer wieder Anschuldigungen und Ungereimtheiten, welche teilweise entkräftet werden konnten, auch unter Hilfe der Aufsichtsbehörden. Grundlegend ist sicher festzuhalten, dass einem Wirtschaftsprüfer irgendwann einfach die Mittel ausgehen. Unternehmensstrukturen werden immer komplexer, analog der Geschäftsmodelle und man verfügt eben über keine Befugnisse wie bei der NSA. Auf der anderen Seite will man sicher auch den eigenen Kunden nicht unbedingt in allzu große Erklärungsnot bringen.

Am Ende des Tages ist es aber auch die Verantwortung der Investoren, sich solchen kritischen Fragen zu stellen und vielleicht einmal das eigene Handeln zu hinterfragen. Für die meisten wird bei Wirecard wohl die Antwort auf die Frage, "Was tut dieses Unternehmen?", wohl etwa so lauten: 

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"Die machen was mit Bezahlen im Internet?!"

Irgendwie hat es den Anschein, dass sobald der Begriff Internet fällt, bei vielen die Dämme und der Verstand einbrechen. Man geht automatisch von gigantischen Gewinnen a la Google (NASDAQ:GOOGL) und Amazon (NASDAQ:AMZN) aus, ohne Ansatzweise die Substanz eines solchen Businessmodells zu hinterfragen. Bei einer BASF (DE:BASFN) Aktie weiß ich was ich bekomme.

Aber irgendwie scheinen wir in den letzten Jahren das Ende des Realismus zu erleben. Grundlegend sind wir der Ansicht, dass Fundamentaldaten nicht relevant sind für eine Kursentwicklung. Dies betrifft aber meistens mehr die Oberseite, als den Abverkauf. Anders lässt es sich einfach nicht erklären, dass eine Tesla (NASDAQ:TSLA) Aktie bei $1000 notiert. Die Produkte sind gemessen an deutschen Premium Automobilen ziemlicher Schrott. Das Unternehmen verdient kein Geld und trotzdem feiert man die Aktie als Messias.

Na klingelt da was? Die Parallelen sind immer überall dieselben. Irgendjemand will es einfach immer glauben. Davon lebt die gesamte Startup und Tech-Branche. Substanz ist unsexy geworden und Gewinne nur Schall und Rauch, solange der Cash Flow durch immer neue Investoren kommt. Am Ende setzt man auf eine Übernahme oder den Börsengang und nur wenige überleben es dann tatsächlich. Bei den meisten stellt sich auch wieder die Frage, was machen die eigentlich? Irgendwas im Internet wahrscheinlich. 

Jetzt muss man so fair sein, um hier auf Wirecard zurückzukommen, wie sollen diese Business Modelle denn nun von Aufsichtsbehörden verstanden und überwacht werden, in denen sehr wahrscheinlich noch Schreibmaschinen und Faxgeräte verwendet werden?
Darüber hinaus ist wohl kaum davon auszugehen, dass dort Experten arbeiten. Denn dann würden diese sicherlich nicht bei Bafin und Co. tätig sein, sondern als Berater in der freien Wirtschaft.

Im Fall Wirecard kam natürlich noch der Umstand hinzu, wie es eine solche Aktie in den DAX schaffen kann. Dies sieht man aktuell ja auch am Beispiel der Deutschen Wohnen (DE:DWNG), welche die Lufthansa (DE:LHAG) ersetzt hat. Aus unserer Sicht, haben solche Titel nichts in einem Leitindex zu suchen. Hier geht es darum den Wirtschaftsstandort eines Landes zu repräsentieren und dessen Vorzeigeunternehmen. Wirecard war dies sicher nicht, auch wenn der Traum für viele Süß war, nach SAP (DE:SAPG) nochmal einen Tech-Konzern aus Deutschland zu sehen. Die Gefahr für die Investoren besteht dann darin, dass mit der Aufnahme in den DAX automatisch das Prädikat sicherer Titel verliehen wird.

Wirecard war alles andere als sicher und hat es niemals über den Status eines Zockerpapiers hinausgeschafft. Weshalb wir auch davon abgeraten haben, sich diese Aktie als Buy and Hold ins Depot zu legen. Zum traden mag dies alles fein gewesen sein, zum investieren sicher nicht. 

Auch hier sei noch einmal klar gesagt, wir waren und sind nicht in Wirecard investiert. Aber selbst wenn wir es gewesen wären, handeln wir JEDE Aktienposition die wir aktiv managen mit einem Stopp um uns genau vor solchen Situationen zu schützen. Charttechnisch sah die Aktie noch Anfang des Monats gut aus. Wenn jedoch 1,9 Milliarden € in der Bilanz und damit die gesamten Gewinne der letzten 10 Jahre verschwunden sind oder nie erzielt wurden, dann kann man jedes noch so charttechnisch bullische Szenario in die Tonne kloppen.