Der Myhtos vom Geld "an der Seitenlinie"

 | 29.05.2018 09:59

Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

da die Börsen gestern in den USA wegen eines Feiertages geschlossen waren, nutzen wir diese Chance um über ein scheinbar „abseitiges“ Thema zu sprechen.­

Das Geld „an der Seitenlinie“

Die Korrektur seit Jahresbeginn hat viele Anleger veranlasst, aus dem Aktienmarkt auszusteigen und ihr Geld wieder „an der Seitenlinie“ zu parken. Sollte die Bodenbildung also enden und die Kurse wieder anziehen, könnte dieses Geld nach landläufiger Vorstellung zurück „in den Aktienmarkt“ strömen und dadurch zu Kurssteigerungen führen und die Rally fortsetzen. Gemäß dieser Vorstellung müsste dann zu einem späteren Zeitpunkt weniger Cash „an der Seitenlinie“ vorhanden sein. Aber ist dem wirklich so?

Leider gehört diese Vorstellung in die Kategorie der Börsenmythen, die Anleger gerne auf eine falsche Fährte führen. Zum besseren Verständnis vergegenwärtigen wir uns einmal, was tatsächlich geschieht, wenn wir Aktien kaufen.

Am Anfang braucht es dazu freies Kapital. Dieses fristet sein Dasein auf unserem Konto, also „an der Seitenlinie“. Jetzt ordern wir bei unserem Broker z.B. 100 Aktien zu je 100 €, wodurch die 10.000 € von unserem Konto, also „von der Seitenlinie“, „in den Aktienmarkt“ fließen. Noch scheint das Bild zu stimmen, aber es gibt auch noch eine andere Seite. Zwar fließt unser Geld tatsächlich in den Aktienmarkt, auf der anderen Seite gibt es aber Jemanden, der uns diese 100 Aktien zu 100 € verkauft hat. Dieser hat nun die 10.000 € auf seinem Konto. Es ist also parallel die gleiche Menge Geld wieder aus dem Aktienmarkt geflossen und parkt an der Seitenlinie, wenn auch an einer anderen Stelle.

Das Nullsummenspiel am Aktienmarkt

Sollte der Verkäufer das Geld wiederum auch investieren, beginnt das Spiel einfach von vorn. Im Endergebnis findet also keine Veränderung für den Aktienmarkt und die Liquidität an der Seitenlinie statt. Es handelt sich also um ein Nullsummenspiel, bei dem im Normalfall Geld weder in den Aktienmarkt hinein noch hinaus fließt (außer bei der Ausgabe neuer oder dem Einziehen alter Aktien).

Nichtsdestotrotz nutzen wir teilweise Geldzu- oder -abflüsse als Indikator für einen steigenden oder sinkenden Aktienmarkt, z.B. das (jährliche oder monatliche) Mittelaufkommen von Investmentfonds. Dieses richtet sich mitunter durchaus nach dem übergeordneten Trend an den Märkten. Jedoch ändert sich auch hierbei nichts an dem beschriebenen Nullsummenspiel, denn es ist ja völlig unerheblich, ob ein Fonds oder ein einzelner Anleger Aktien kauft bzw. verkauft.

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So entstehen wirklich Kurssteigerungen

Die entscheidende Rolle spielt wie so oft bei finanzwirtschaftlichen Phänomenen der Faktor Zeit. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Die Person von der wir die Aktien erworben haben, war im Gegensatz zu uns offenbar der Meinung, dass deren Kurspotenzial bis auf Weiteres ausgereizt ist.

Dies stellte sich aber als falsch heraus, da die Kurse weiter steigen. Der voreilige Verkäufer will nun wieder neu einsteigen, kann aber seine Aktien nicht von uns zurückkaufen. Schließlich haben wir die Aktien ja mit der Erwartung gekauft, dass die Kurse weiter steigen.

Und da die Kurse tatsächlich nach oben klettern, gibt es für uns keinen Grund unsere Aktien sogleich wieder zu verkaufen. Wir wollen ja schließlich aus dem weiteren Kursanstieg Profit schlagen. Unser Verkäufer muss also jemanden finden, der wie er zuvor glaubt, dass das Kurspotenzial ausgereizt ist. Durch die weiter steigenden Kurse werden aber immer mehr Aktienbesitzer mit noch höheren Kursen rechnen und nicht verkaufen wollen.

Alles hängt von Angebot und Nachfrage ab

Durch die sinkende Verkaufsbereitschaft muss der potenzielle Käufer höhere Preise bieten, um doch noch zum Zuge zu kommen, wodurch er selbst die Kurse weiter antreibt. Aber auch andere Investoren mit „an der Seitenlinie“ geparktem Geld verfolgen diese positive Bewegung. Und diese wollen nun ebenfalls einsteigen. Plötzlich steigt die Zahl der Konkurrenten um die (wenigen) angebotenen Aktien für unseren ehemaligen Verkäufer. Dadurch müssen noch höhere Preise geboten werden, die die Kurse weiter ansteigen lassen.

Es fließt also kein weiteres Geld in den Aktienmarkt innerhalb dieses etwas vereinfacht dargestellten Falls steigender Kurse. Es wird einfach nur mehr Geld geboten, als derzeit Aktien angeboten werden. Auf der einen Seite warten viele Anleger, die jetzt Aktien kaufen wollen und auf der anderen Seite gibt es auch sehr viele Anleger, die ihre Aktien eben jetzt nicht verkaufen wollen. Es handelt sich um ein klassisches Problem zwischen Angebot und Nachfrage. Dasselbe Problem ergibt sich in vergleichbarer Weise bei fallenden Kursen. Im ersten Fall ist die Nachfrage größer als das Angebot, im zweiten Fall eben genau umgekehrt.

Rationale Investoren haben es schwer

Es sei aber gesagt, dass dieser Mechanismus nur die halbe Wahrheit enthält. Schließlich könnte der rationale Investor ja einfach auf einen für ihn günstigen Einstiegszeitpunkt warten. Wenn „die Kurse weglaufen“, bringt diese Taktik aber leider nichts. Denn um nichts zu verpassen, steigen die Anleger dann auch zu immer höheren Kursen ein. Dann beherrscht die Gier die Börsianer (bzw. bei fallenden Kursen die Panik).

Dasselbe Prinzip gilt auch, wenn vom Aktienmarkt in den Anleihenmarkt (oder umgekehrt) „umgeschichtet“ wird. In diesem Fall ersetzt ein einzelner Investor ein Aktienpaket durch eine Anleihenposition. Dadurch ändert sich für beide Märkte am Ende de facto nichts: Irgendein anderer Investor übernimmt die verkaufte Aktienposition, während die Anleihen ebenfalls von einem früheren Bondanleger kommen.

Im Endeffekt verursachen Angebot und Nachfrage in den jeweiligen Märkten die Umschichtungen und damit einhergehenden Kursveränderungen. Unter Umständen ist nun mal nicht genug „Platz“, wenn viele Investoren schnell durch die eine Tür raus und in die andere rein wollen.

Die Stimmung ist entscheidend, nicht die Liquidität

Bei dem Mythos, dass „Geld von der Seitenlinie in den Aktien-/Anleihenmarkt fließt“ handelt es sich also um eine anekdotische Umschreibung der Tatsache, dass die Stimmung nachhaltig umschlägt. Die vorhandene Liquidität dient dabei als Katalysator bzw. ein Schmiermittel, das diesen Mechanismus geschmeidiger laufen lässt. Wenn mehr Geld für Investments bereit steht, wenn die Stimmung umschlägt, wird auch der folgende Trend stärker. Sollte aber die Stimmung nicht zum Investieren animieren, bringt auch der stärkste Liquiditätsfluss wenig.

Das Wissen um die Stimmungslage zeigt sich also deutlich relevanter als die Verfolgung von Geldströmen. Zumal man diese auch erst im Nachhinein (anhand von Statistiken) erkennen kann. Entsprechend sollten Sie sich auf die Stimmungslage konzentrieren, z.B. anhand einschlägiger funktionierender Indikatoren, wie dem Trader-Sentiment, der antizyklischen Bewertung der Medienberichterstattung und selbstverständlich der Kursinformationen selbst.

Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert

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