Das Brexit-Referendum: Alles, was Sie schon immer darüber wissen wollten

 | 14.06.2016 13:49

Von Clement Thibault

In nur wenigen Tagen, am 23. Juni, könnte die politische und wirtschaftliche Zukunft der Europäischen Union durch das Referendum der britischen Gesellschaft über den Verbleib des Landes im Staatenverbund für immer verändert werden. Der „Brexit“ – kurz für „Britain Exit“ – also der Austritt Großbritanniens aus der EU, hätte nicht nur weitreichende Folgen für die Wirtschaft der Insel und die der Union, sondern auch für die globalen Devisen- und Aktienmärkte.

In einer dreiteiligen Artikelserie werfen wir im Laufe der Woche einen ausführlichen Blick auf das Votum und seine Auswirkungen auf alle Beteiligten. Der aktuelle Artikel beschäftigt sich mit den Gründen für das Referendum; im zweiten Teil werden die Folgen eines Verbleibs und eines Austritts auf die wichtigsten globalen Währungen erörtert. Der dritte und letzte Teil beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Abstimmungsergebnisses auf Aktienkurse in Großbritannien und weltweit.

Was genau ist die Europäische Union?

Die Europäische Union ist ein wirtschaftlicher und politischer Verbund 28 europäischer souveräner Staaten. Beim Beitritt in die EU erklärt jeder Staat, dass er sich aus freien Stücken an die internationalen Verträge, die von der Gemeinschaft ausgehandelt wurden, bindet, ohne dazu durch eine dritte Partei gezwungen worden zu sein. Die Stärke der EU – aber paradoxerweise auch ihre politische Brüchigkeit – liegt in dieser Tatsache begründet.

Artikel 50 des EU-Vertrags besagt: „Jeder Mitgliedstaat kann sich dazu entschließen, die Union in Übereinstimmung mit den eigenen konstitutionellen Anforderungen zu verlassen.“ Bislang hat sich keines der Länder für diese Option entschieden, ganz im Gegenteil: die Liste der Beitrittskandidaten ist lang. Die Entscheidung der Briten, als erstes Land die EU zu verlassen, hätte nicht nur Folgen für die Zukunft Großbritanniens, sondern könnte das Ansehen und das politische Gewicht der Union ernsthaft beeinträchtigen.

Vor der Gründung der EU am 1. November 1993 war Großbritannien seit 1975 Mitglied der viel kleineren Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die EWG – oft auch Gemeinsamer Markt genannt – bestand aus 9 Mitgliedstaaten und war im Grunde ein Handelsabkommen.

Auch die Europäische Union ist ein Einheitsmarkt, zu dem alle Mitgliedstaaten Zugang haben. Anders als die Vorgängerorganisation jedoch ist die EU eine viel weiter gefasste Einheit mit weitreichenden politischen Entscheidungsbefugnissen. So wird in Brüssel, dem EU-Hauptsitz, neben Handelsangelegenheiten, auch über Immigrations- und Visarichtlinien bestimmt.

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Für viele in Großbritannien liegt genau darin das Hauptproblem.

Warum möchte ein Teil der britischen Bevölkerung den Austritt? Warum möchte der andere Teil bleiben?

Die Gründe sind vielfältig. Viele Bürger sind besorgt über die wachsende politische Macht der EU über die einzelnen Mitgliedstaaten. Die EU hat ausschließliche legislative Befugnisse in Bereichen wie Handelsprozesse, Transportrichtlinien und sogar Wettbewerbsregeln. Die einzelnen Mitgliedstaaten selbst können in diesen Bereichen keine eigene Gesetzgebung mehr erlassen. Viele sehen darin eine Beschneidung der Staatssouveränität.

Im Hinblick auf die Wirtschaft sind viele Briten der Ansicht, dass der freie Verkehr von Menschen und Waren – ein Kernprinzip der EU – der britischen Wirtschaft schadet. Die Regierung ist nicht in der Lage, den Migrantenzustrom in das Land zu kontrollieren, während die Unternehmen sich überall in der EU frei niederlassen können. Der Streit über Grenzkontrollen wird ebenfalls bereits seit etlichen Jahren mit wachsender Intensität geführt. Aktuell wird er in einen sicherheitspolitischen Kontext gestellt: Viele Bürger glauben, dass eine Abkoppelung von der EU-Politik in Bezug auf syrische Flüchtlinge die Sicherheit in Großbritannien erhöhen würde.

Ein weiteres Argument sind die Beitragszahlungen: Das Land trägt mit Milliarden zum EU-Staatshaushalt bei, bekommt jedoch viel weniger zurück. Über das genaue Ausmaß dieser Ungerechtigkeit wird erbittert gestritten. Informationen auf fullfact.org zufolge zahlt Großbritannien jährlich 13 Mrd. Pfund (ca. 18,4 Mrd. USD) in die EU-Kasse ein. Die Union dagegen gibt für das Land nur 4,5 Mrd. Pfund (ca. 6,4 Mrd. USD) aus; dadurch ergibt sich für das Land ein Defizit von 8,5 Mrd. Pfund (ca. 12 Mrd. USD).

Natürlich haben auch die EU-Befürworter überzeugende Argumente.

Politisch gesehen hat jeder Mitgliedstaat innerhalb der Gemeinschaft mehr Gewicht auf der politischen Weltbühne als im Alleingang. Die EU betrachtet sich selbst als eine Weltmacht: Dieses Status wäre für die einzelnen Mitglieder gegenwärtig unerreichbar.

Zwar haben Großbritannien, Deutschland und Frankreich weitreichenden politischen Einfluss in unterschiedlichen Teilen der Welt, dennoch könnten sie allein kein Gegengewicht zur Macht der USA bilden. Dieses Argument wird von den EU-Befürwortern gerne bei Sicherheitsfragen vorgebracht: Gemeinsam ist man besser gegen zukünftige Bedrohungen gerüstet als im Alleingang.

Alle EU-Mitgliedstaaten können innerhalb der Gemeinschaft kostenfrei exportieren; das fördert den Absatz britischer Waren auf dem Kontinent. Auch bei Handelsabkommen hat die EU die bessere Verhandlungsposition, da sie externen Partnern den äußerst lukrativen Zugang zum gesamten europäischen Binnenmarkt bieten kann.

Für sich allein könnte Großbritannien also niemals so günstige Handelsbedingungen aushandeln. So könnte zum Beispiel die TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), die gerade zwischen der EU und den USA verhandelt wird, das größte Freihandelsabkommen werden, das jemals beschlossen wurde. Sollte Großbritannien die EU verlassen, müsste es die Bedingungen des Abkommens eigenständig aushandeln. Ob das von Vor- oder Nachteil wäre, hängt von der eigenen Perspektive ab.

Und während die Brexit-Befürworter die Gastarbeiter als eine Bedrohung für die britische Wirtschaft sehen, gelten Sie den EU-Anhängern als eine treibende Kraft für das Wirtschaftswachstum des Landes.

Macro versus Micro

Die bisherigen Ausführungen beziehen sich auf die Makrowirtschaft. Kann man jedoch das eigene Portfolio auf einen möglichen Brexit vorbereiten? Ja und nein.

Es ist unmöglich, all die unterschiedlichen Auswirkungen vorherzusehen, die ein Austritt Großbritanniens auf persönliche Anlagen haben könnte. Dennoch kann man sich gegen die Möglichkeit eines Austritts absichern. Im zweiten Teil der Serie werfen wir einen Blick darauf, wie das Pfund Sterling, der US-Dollar und andere Hauptwährungen auf einen Brexit reagieren könnten.

In Teil II dieser Serie, die später in dieser Woche veröffentlicht wird, werden wir einen Blick darauf werfen, wie der Pfund Sterling beeinflusst werden könnte, welche Auswirkungen es auf den US-Dollar und anderen Haupt-Währungen hat.

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