Emre Şentürk | 01.09.2022 17:35
Ich habe in den letzten Monaten und Jahren immer wieder eine ganz spezielle Ansicht zu den Entwicklungen in China geäußert. Zuletzt ging ich in diesem Artikel auf die Inflation in der zweitgrößten Wirtschaft der Welt ein. Jedoch ist die Inflationsentwicklung nur ein Aspekt eines größeren Strukturwandels im ostasiatischen Land. Die markanteste Veränderung in der chinesischen Wirtschaft ist der Umgang mit großen, vor allem börsennotierten Konzernen.
Chinas Wirtschaftskonstrukt basiert auf festen Wechselkursen und einer autonomen Geldpolitik. Im Rahmen des Trilemmas des Wechselkursregimes (engl. Impossible Trinity) kann ein Land, welches diese beiden Aspekte in die Wirtschaft integriert, keine freien Kapitalflüsse zulassen. In der Regel setzen Wirtschaften eher auf autonome Geldpolitik und freie Kapitalflüsse, was aber zu fluktuierenden Wechselkursen führt. In China gibt es aus diesem Grund auch 3 Börsen, 2 im Inland und eine semi-autonome Börse in Hongkong. Anteile chinesischer Unternehmen können von ausländischen Investoren nur an letzterer gehandelt werden. Chinesische Staatsbürger können nur Anteile an den inländischen Börsen handeln. Unternehmen sind oftmals mehrfach gelistet, um den Kapitaltransfer ins Land regulieren zu können.
Dass dieses System nicht nachhaltig ist, weiß man in der chinesischen Politik und es wurde schon vor Jahren gesagt, dass man die Kapitalgrenzen öffnen möchte. Nicht umsonst verliert die Region Hongkong seit Jahren auch mehr Macht, um perspektivisch stärker in die chinesische Wirtschaft eingegliedert zu werden. Das Problem ist aber, dass die Unternehmen auch stärker an internationalen Qualitätsstandards gemessen werden sollten. Und auch das weiß man in China. In einem direkten Vergleich hängen die Unternehmen noch immer in Sachen Transparenz, Reporting, Datenschutz und Corporate Governance dem globalen Standard hinterher. Deshalb wurden in den letzten zwei Jahren immer mehr chinesische Global Player in die Mangel vom Staat genommen. Erst verschwand Jack Ma, dann wurde die IPO der Ant Group verhindert, DiDi musste Milliardenstrafen zahlen und Tencent (HK:0700) und JD.com (NASDAQ:JD) wurden ebenfalls zur Kasse gebeten, weil sie nicht den Standards der heutigen Zeit entsprachen.
Das ist zwar alles recht hart, hat aber zur Folge, dass sich die Unternehmen intrinsisch verbessern. Gerade im Hinblick auf die Listung der Anteile an den internationalen Börsen ist das extrem wichtig, da sie für den globalen Markt aus Sicht von Corporate Governance fit werden. Ob dies zum Teil schon gelungen ist, wird sich bald zeigen, denn die USA haben gleich zwei chinesische Unternehmen, die auch in den USA gelistet sind, ins Visier genommen. JD.com und Yum China (NYSE:YUMC) Holdings sollen ab diesem Monat umfangreichen nordamerikanischen Wirtschaftsprüfungen unterzogen werden. Das nordamerikanische Gremium Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) hat wohl gestern beide Unternehmen darüber informiert. Durchführen sollen das Deloitte und KPMG – zwei der bekannten Big 4 im Bereich der Wirtschaftsprüfung.
Nun wird sich zeigen, wie fit die Unternehmen wirklich sind, was ihre allgemeine Struktur angeht. Sind die Bilanzen sauber? Sind sie ausreichend transparent? Sind die Verwaltungsstrukturen nachhaltig und tragbar? All das wird bald etwas klarer. Man darf nicht zu viel erwarten und auch die Aussagekraft ist eingeschränkt, da es so umfangreiche externe Prüfungen in diesem Rahmen nie gab. Außerdem dürfte der Prozess auch politisch gefärbt sein, ohne diesen Aspekt hier aber überbewerten zu wollen. Entpuppen sich die Unternehmen als einigermaßen gesund, ist das ein starkes Indiz für meine oben kurz beschriebene These. Ebenso kann diese aber auch einen Schlag abbekommen, wenn die Unternehmen als marode befunden werden. Es wird hier also demnächst extrem spannend! Auch bei uns wird es das, da wir ab morgen den Hang Seng Index als neues Produkt in unser Analyseportfolio aufnehmen und ab Montag dann täglich für Sie analysieren.
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