Aus dem Tagebuch des DAX
Johannes Krämer | 21.03.2022 15:20
Guten Tag zusammen. Mein Name ist DAX, einen Vornamen habe ich leider nicht. Mein Geburtsdatum soll, so sagt man mir, der 1. Juli 1988 sein. Laut der ersten Veröffentlichung wog ich an diesem Tag 1.163,52 Punkte. Schlaue Mathematiker haben errechnet, dass mein Gewicht am 31. Dezember 1987, obwohl es mich da noch gar nicht gab, genau 1.000 Punkte betragen hätte. Sehr interessant.
Anfangs hielt sich meine Bekanntheit und mein Erfolg noch in Grenzen. Mittlerweile, und da bin ich schon ein bisschen stolz darauf, bin ich nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Börsenwelt bekannt. Sogar im Fernsehen wird über mich berichtet.
Mein Körper bestand lange Zeit aus 30 verschiedenen Einzelteilen, wobei im Laufe der Zeit immer wieder frische, gesunde Einzelteile hinzukamen als Ersatz für diejenigen Einzelteile, die bestimmte Qualitätskriterien nicht mehr erfüllt haben. Letztes Jahr hat mir mein Arzt geraten, dass ich mich zukünftig noch etwas gesünder bzw. breiter aufstellen sollte. Man wird ja nicht jünger, hat er gemeint. Gesagt, getan: seit September 2021 bestimmen nun 40 Einzelteile mein Börsenleben.
Über die vielen Jahre hinweg ist es mir, so glaube ich, gelungen, eine Erfolgsgeschichte zu schreiben, wenn auch mit teils turbulenten Kapiteln, die mich mitunter gesundheitlich beeinträchtigt haben und die zu manch einer ungeplanten „Schlankheitskur“ geführt haben.
Beispielsweise schlugen mir die beiden Irakkriege, der Terroranschlag auf das World-Trade-Center in New York sowie das Platzen der sogenannten „Dotcom-Blase“ ziemlich auf den Magen. Ebenso ließen die weltweite Finanzkrise und die Eurokrise die Pfunde, pardon die Punkte, purzeln. Auch der „Corona-Crash“, der im Februar/März vor zwei Jahren mit voller Wucht über uns hereingebrochen ist, hat mich schwer mitgenommen: fast 40% Gewichtsverlust quasi über Nacht.
Von all diesen Rückschlägen konnte ich mich jedoch immer wieder, teils sehr zügig, erholen und meine Gewichtsverluste in der Folge mehr als wettmachen. Im November 2021 übrigens habe ich mein bisheriges Rekordgewicht erreicht: 16.290 Punkte. Vielleicht ein bisschen übergewichtig zu dieser Zeit, aber ich habe mich sehr gut dabei gefühlt. Expansive Geldpolitik, steigende Unternehmensergebnisse, sichtbare Impffortschritte und mangelnde Anlagealternativen haben Appetit auf mehr gemacht. Mahlzeit! Aber zum Nachtisch hat es nicht mehr gereicht.
Plötzlich, obwohl schon länger bekannt, hat die anziehende Inflation bei mir stechende Kopfschmerzen verursacht. Die Tabletten haben bisher nicht geholfen. Dem nicht genug, scheint das Wirtschaftswachstum, dass mich bis dato eher beflügelt hat, bei mir nun einen Wadenkrampf auslösen zu wollen. Ich habe sofort das Tempo gedrosselt. Zudem schlägt mir der grausame Ukraine-Krieg gewaltig auf den Magen und beim Blick auf die Energiepreise kann es einem derzeit ganz übel werden. Prompt habe ich über 20% von meinem Rekordgewicht verloren, einen kleinen Teil konnte ich durch kalorienhaltige Süßspeisen wieder aufholen. Mein Großcousin mütterlicherseits, man nennt ihn auch das gelbe Edelmetall, kann mich übrigens gar nicht verstehen. Er sagt, ihm schmeckt’s und er hätte auch sonst keine Probleme, zumindest zur Zeit.
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Nun habe ich genug gejammert. Wie viele andere, habe auch ich die große Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende in der Ukraine. Dann wird wohl auch wieder etwas mehr Appetit aufkommen inklusive Gewichtszunahme.
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