- von Guy Faulconbridge und Tom Körkemeier
Brüssel/London (Reuters) - Der Brexit ist amtlich: Die britische Premierministerin Theresa May reichte am Mittwoch den Antrag zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU in Brüssel ein.
"Was soll ich noch sagen? Wir vermissen euch jetzt schon. Danke und auf Wiedersehen", erklärte EU-Ratspräsident Donald Tusk, nachdem er das Schreiben aus London entgegengenommen hatte, das das Ende der bislang 44-jährigen EU-Mitgliedschaft des Landes besiegeln soll. Damit verlässt erstmals in der 60-jährigen Geschichte der EU ein Land den Staatenbund. Die verbleibenden 27 EU-Staaten erklärten, in den anstehenden Verhandlungen geschlossen auftreten zu wollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich für faire Brexit-Gespräche aus.
Botschafter Tim Barrow übergab das Schreiben seiner Regierung am Mittag im EU-Ratsgebäude an Tusk, der dann zunächst via Twitter mit Blick auf das Referendum im Juni 2016 mitteilte: "Nach neun Monaten hat das Vereinigte Königreich geliefert. #Brexit". May verkündete im Unterhaus in London: "Das Vereinigte Königreich verlässt die Europäische Union." Beide Seiten kündigten an, die Verhandlungen zu einem Abschluss bringen und ein Scheitern vermeiden zu wollen. Dabei geht es vor allem darum, wie der bilaterale Handel und die Freizügigkeit von britischen und EU-Staatsbürgern geregelt werden soll. Sollten die Gespräche ohne Einigung enden, befürchten Wirtschaft und Politik einen immensen Schaden.
May schrieb in ihrem sechsseitigen Brief, Großbritannien strebe in Wirtschafts- wie auch in Sicherheitsfragen eine enge Partnerschaft mit der EU an. Die Verhandlungen sollten in einem "Geist ernsthafter Zusammenarbeit" geführt werden. Tusk erklärte, es gehe jetzt um Schadensbegrenzung. Die EU werde die Interessen der 27 Mitgliedstaaten vertreten. Das Positive am Brexit sei bereits jetzt, dass er die Union enger zusammengeschweißt habe. Es gebe aber keinen Grund so zu tun, als sei des ein "freudiger Tag, weder in Brüssel noch in London".
Am 29. April will die EU-27 bei einem Sondergipfel Leitlinien für die Verhandlungen abstecken. Für die EU soll der frühere Binnenmarktkommissar und ehemalige französische Außenminister Michel Barnier die Gespräche führen, sein Gegenüber ist der britische Brexit-Minister David Davis. "Heute ist Tag Eins eines sehr schwierigen Wegs", sagte Barnier. Nach der Aktivierung von Artikel 50 des Lissabon-Vertrages bleiben zwei Jahre Zeit, um die Bedingungen des Austritts auszuhandeln.
BUNDESREGIERUNG: WIR KÖNNEN AUF ALLES REAGIEREN
"Jetzt, wo die Entscheidung getroffen wurde, die EU zu verlassen, müssen wir zusammenrücken", sagte May im Unterhaus. Es handle sich um einen historischen Moment. Es gebe "kein Zurück". "Wenn ich in den kommenden Monaten am Verhandlungstisch sitze, werde ich jede Person im gesamten Vereinigten Königreich repräsentieren - jung und alt, reich und arm, Stadt, Kleinstadt, Land und all die Dörfer und Weiler dazwischen."
Allerdings stehen bei weitem nicht alle Briten hinter dem Antrag. Das Parlament in Edinburgh hatte am Dienstagabend für ein Referendum über eine Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich gestimmt. Dem muss das britische Unterhaus allerdings zustimmen. May hat sich bislang gegen ein solches Referendum ausgesprochen. Auch in Nordirland fordern Nationalisten ein Referendum über die Loslösung vom Vereinigten Königreich und eine Union mit Irland.
Merkel sagte, May habe ihr in einem Telefongespräch faire Verhandlungen zugesichert. "Wir ... haben uns diesen Tag sicherlich nicht gewünscht, denn wir verlieren einen starken und wichtigen Mitgliedstaat", erklärte die Kanzlerin. Die Bundesregierung werde sich intensiv dafür einsetzen, dass die persönlichen Folgen für die EU-Bürger in Großbritannien so gering wie möglich ausfielen. "Ich wünsche, dass Großbritannien und die EU enge Partner bleiben."
"PARTNER UND VERBÜNDETER BLEIBEN"
May schrieb in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", sie sehe Deutschland und Großbritannien auch nach dem Brexit als enge Partner. "Deutschland und Großbritannien sind sehr oft mit starker, vereinter Stimme in der Welt aufgetreten." Großbritannien wolle "Deutschland und allen unseren anderen Freunden auf dem Kontinent ein engagierter Partner und Verbündeter bleiben".
Aus Sicht der Bundesregierung ist es am wichtigsten, dass sich die verbleibenden Mitgliedstaaten in den Verhandlungen nicht auseinanderdividieren lassen. Dies stehe an "allererster Stelle", hieß es im Auswärtigen Amt. Die Errungenschaften der EU wie etwa der Binnenmarkt müssten mit aller Kraft verteidigt werden, sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer. Außenminister Sigmar Gabriel rief dazu auf, auch künftig enge Beziehungen zu Großbritannien zu unterhalten: "Lasst uns Freunde bleiben!"
Die Scheidungspapiere dürften nach Einschätzung von EU-Vertretern einen positiven Grundton für die Verhandlungen setzen. Deren Ergebnis ist jedoch völlig offen. May strebt einen harten Schnitt mit der EU an und will auch auf den Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt verzichten. Stattdessen strebt die Regierung in London ein Freihandelsabkommen mit der EU an. Unklar sind zudem die Folgen für den Finanzplatz London. Große internationale Banken erwägen, Stellen von London in EU-Standorte zu verlagern. Frankfurt gilt hier als ein möglicher Kandidat, aber auch Paris und Dublin sind im Gespräch.