- von Guy Faulconbridge
London (Reuters) - Die britische Premierministerin Theresa May dürfte angesichts des vehementen Widerstands gegen ihre Brexit-Strategie in Kürze einen Zeitplan für ihren Rücktritt vorlegen.
Sowohl in britischen Medien als auch in Mays Konservativer Partei wurde davon ausgegangen, dass die Regierungschefin noch an diesem Freitag ein Datum für ihren Rückzug nennen wird. Sie soll allerdings vorerst geschäftsführend im Amt bleiben, bis die Tories einen Nachfolger gewählt haben. Die prominentesten Anwärter auf den Posten fordern Änderungen an dem Brexit-Vertrag, den May mit der EU ausgehandelt hat, der aber vom britischen Unterhaus drei Mal ablehnt wurde. Die EU lehnt das bislang ab. Wie, wann oder ob Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft ausscheidet, bleibt somit ungewiss. Derzeit ist die Frist für den Abschied der 31. Oktober.
Mehrere Minister rechneten damit, dass May noch am Vormittag eine Erklärung abgeben wird. Mit Spannung wurde auch auf das im Laufe des Tages angesetzte Treffen Mays mit dem Vorsitzenden des mächtigen Parteikomitees 1922, Graham (NYSE:GHC) Brady, gewartet. Der Ausschuss, dem in erster Linie Unterhaus-Hinterbänkler angehören, ist so einflussreich, dass er über das politische Schicksal der Premierministerin entscheiden kann. Der Schatzmeister des Komitees, Geoffrey Clifton-Brown, plädierte in der BBC dafür, dass May übergangsweise noch im Amt bleiben soll, bis die Konservativen eine Nachfolger bestimmt haben. Am Donnerstag hatte er damit gedroht, sollte May keinen Zeitplan für ihren Rücktritt vorlegen, werde der Ausschuss wohl den Weg für ein Misstrauensvotum frei machen.
WIRD BORIS JOHNSON DER NÄCHSTE PREMIER?
Die Wahl eines Nachfolgers dürfte etwa sechs Wochen dauern. Der Prozess würde voraussichtlich am 10. Juni nach dem Staatsbesuch von US-Präsident Donald Trump beginnen. Als aussichtsreichster Anwärter auf Mays Nachfolge gilt Ex-Außenminister Boris Johnson, der für viele Briten das Gesicht der Brexit-Befürworter ist. Daneben werden aber auch ein gutes Dutzend andere Parteimitglieder als potenzielle Kandidaten gesehen, etwa der ehemalige Brexit-Minister Dominic Raab.
May hatte am Dienstag noch einmal versucht, ihre Kritiker umzustimmen. Sie stellte einen Gesetzentwurf vor, der unter anderem engere Handelsbeziehungen zur EU nach dem Abschied aus der Staatengemeinschaft vorsieht sowie die Möglichkeit eines weiteren Referendums, diesmal über den Brexit-Vertrag und nicht wie im Juni 2016 über den Austritt an sich. Damit wollte sie insbesondere die oppositionelle Labour-Partei für sich gewinnen, auf deren Stimmen sie im Parlament angesichts vieler Abweichler in den eigenen Reihen angewiesen ist. Doch sowohl Labour als auch viele Konservative senkten den Daumen.